Leitsatz
Der Notar, der vom Erben mit der Aufstellung eines Nachlassverzeichnisses beauftragt worden ist, entscheidet nach eigenem pflichtgemäßen Ermessen, welche Ermittlungen er vornimmt und welcher Erkenntnisquellen er sich bedient. Die Anforderungen an den Umfang der Ermittlungen richten sich nach den konkreten Gegebenheiten des Einzelfalls und orientieren sich daran, welche Nachforschungen ein objektiver Dritter in der Lage des Gläubigers für erforderlich halten würde. Der Notar ist dagegen nicht verpflichtet, ohne konkrete Anhaltspunkte in alle denkbaren Richtungen zu ermitteln, um weiteres Nachlassvermögen aufzuspüren.
BGH, Beschl. v. 7.3.2024 – I ZB 40/23
1 Gründe
I.
Die Gläubigerinnen sind Enkelinnen der am 22.9.2010 verstorbenen Erblasserin. Die Mutter der Gläubigerinnen, Tochter der Erblasserin, ist vor der Erblasserin verstorben. Die Schuldnerin ist eine weitere Tochter der Erblasserin. Die Erblasserin setzte die Schuldnerin durch notarielles Testament vom 22.6.2010 als ihre Alleinerbin ein und vermachte den Gläubigerinnen eine Immobilie in Kärnten/Österreich.
Die Gläubigerinnen haben die Schuldnerin im Wege der Stufenklage auf Auskunftserteilung und Zahlung in Anspruch genommen. Sie sind der Ansicht, dass sie von der Schuldnerin den Pflichtteil bzw. Pflichtteilsergänzung beanspruchen können.
Die Gläubigerin zu 1 hat auf der ersten Stufe beantragt,
die Schuldnerin zu verurteilen, ihr über Schenkungen der (Erblasserin) durch Vorlage eines systematischen, mit Vollständigkeitsversicherung versehenen geordneten Verzeichnisses Auskunft zu erteilen, welches die im Zeitraum zwischen dem 22.9.2000 und dem 22.9.2010 an Dritte geschenkten Beträge oder Werte, die jeweiligen Schenkungszeitpunkte und die Personen des jeweiligen Empfängers ausweist.
Beide Gläubigerinnen haben außerdem beantragt,
die Schuldnerin zu verurteilen, gegenüber ihnen Auskunft gem. § 2314 BGB über den Bestand des Nachlasses der Erblasserin durch Vorlage eines notariell aufgenommenen und vom Notar unterzeichneten ausführlichen, systematischen und vollständigen Verzeichnisses zu erteilen, und sie bei der Aufnahme des Verzeichnisses zuzuziehen.
Das AG Bonn hat, nachdem die Schuldnerin den zweiten Auskunftsantrag anerkannt hat, mit rechtskräftigem Teil-Anerkenntnis- und Teilurteil vom 23.11.2017 die Schuldnerin entsprechend ihrem Anerkenntnis verurteilt und den ersten Auskunftsantrag abgewiesen. Die Schuldnerin erteilte in der Folge Auskunft durch Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses vom 4.5.2018.
Da die Gläubigerinnen dieses Nachlassverzeichnis für unzureichend hielten, haben sie die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des AG Bonn betrieben. Dagegen hat die Schuldnerin Vollstreckungsabwehrklage mit der Begründung erhoben, sie habe die titulierte Verpflichtung erfüllt. Das AG hat der Klage stattgegeben (AG Bonn, Urt. v. 21.12.2018 – 105 C 51/18, juris). Das LG hat die Klage unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils mit der Begründung abgewiesen, das notarielle Nachlassverzeichnis vom 4.5.2018 sei unvollständig, weil es keine umfassenden Angaben über die Geschäftsbeziehung der Erblasserin zu der in Kärnten ansässigen Raiffeisenbank Millstättersee enthalte (LG Bonn, Urt. v. 3.7.2019 – 5 S 18/19, juris). Der BGH hat die Revision der Schuldnerin zurückgewiesen (BGH, Urt. v. 20.5.2020 – IV ZR 193/19, NJW 2020, 2187).
Die Schuldnerin legte daraufhin eine vom Notar vorgenommene Ergänzung des notariellen Nachlassverzeichnisses vom 28.7.2020 vor, die Angaben zu den Geschäftsbeziehungen der Erblasserin mit der Raiffeisenbank Millstättersee in Kärnten enthält.
Die Gläubigerinnen sind der Ansicht, die Schuldnerin habe weiterhin ihrer titulierten Auskunftsverpflichtung nicht genügt. Sie haben beantragt, gegen die Schuldnerin ein Zwangsgeld, ersatzweise Zwangshaft, festzusetzen. Das AG hat den Antrag zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde der Gläubigerinnen ist erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgen die Gläubigerinnen ihren Antrag auf Festsetzung von Zwangsmitteln weiter.
Das Beschwerdegericht hat die sofortige Beschwerde als zulässig, aber unbegründet angesehen, weil die Schuldnerin den titulierten Anspruch durch Vorlage des notariellen Nachlassverzeichnisses vom 4.5.2018 nebst Ergänzung vom 28.7.2020 vollständig erfüllt habe. Daher bestehe kein Anspruch auf eine weitere Ergänzung des notariellen Nachlassverzeichnisses. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Der Erfüllungseinwand der Schuldnerin sei im Zwangsmittelverfahren zu prüfen. Dabei sei das Beschwerdegericht nicht durch das rechtskräftig gewordene, im Verfahren der Vollstreckungsabwehrklage der Schuldnerin ergangene Urteil des LG Bonn vom 3.7.2019 gebunden.
Das notarielle Nachlassverzeichnis nebst Ergänzung sei nicht deshalb erkennbar unvollständig, weil die Schuldnerin dem Notar keine Zustimmung zur Einholung von Auskünften von weiteren Banken und Sparkassen in der Umgebung von Millstatt in Kärnten und zur Durchführung eines automatisierten ...