In der vorstehenden Entscheidung ging es um Elternunterhalt für eine psychisch erkrankte Mutter, also um einen Sachverhalt, bei dem die Pflicht zum Elternunterhalt häufig von unabsehbarer Dauer ist, weil solche Eltern häufig schon in jungen Jahren dauerhaft erkranken und hilfebedürftig werden.[1]

Das OLG München setzt sich in seiner Entscheidung mit den’unterhaltsrechtlichen Folgen des am 1.1.2020 in Kraft getretenen sog. Angehörigen-Entlastungsgesetzes[2] auseinander. Diese hat der Gesetzgeber nicht gesehen und nicht diskutiert. Er wollte lediglich die für Leistungen der Grundsicherung geltende 100.000 EUR-Grenze auch auf die Fälle der Unterhaltspflicht bei Heimpflegbedürftigkeit der Eltern auf schnellstem Weg erweitern. Dazu änderte er nicht das Familienrecht und nicht das Unterhaltsrecht, sondern ausschließlich das Sozialhilferecht (§ 94 Abs. 1a SGB XII). Er erweiterte die für Grundsicherungsleistungen bereits 2001 durch das Gesetz über eine’bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei’Erwerbsminderung (GSiG) eingeführte[3] und nach § 16 SGB IV aus § 2 EStG zu bestimmende Jahreseinkommensgrenze von 100.000 EUR für ein unterhaltspflichtiges Kind (oder auch Elternteil) auch auf andere Hilfearten des Sozialhilferechts, insbesondere die Hilfe zur Pflege nach § 61 SGB XII. Das versteht sich allein vor dem Hintergrund sozialrechtlicher Normen, hat also mit dem Unterhaltsrecht zunächst einmal nichts zu tun. Im Sozialhilferecht (SGB XII) muss der Hilfesuchende Einkommen (§§ 82 ff. SGB XII) vorrangig einsetzen, bevor er einen Anspruch auf Sozialhilfe hat. Etwas anderes gilt nur, wenn es einen ausdrücklichen normativen Schontatbestand gibt.

Unterhaltsansprüche sind Einkommen i.S.d. § 82 SGB XII. Sie sind daher eigentlich immer vorrangig einzusetzen. Das wollte schon der Gesetzgeber des Jahres 1999 ändern.[4] Er wollte bereits damals Kinder und Eltern vollständig von der Berücksichtigung familienrechtlicher Unterhaltsansprüche befreien und einen solchen normativen Schontatbestand in das Gesetz einbauen. Das scheiterte damals aber am Bundesrat und so kam im Vermittlungsausschuss der Kompromiss der 100.000 EUR -Grenze zustande, ohne dass irgendetwas zur Rechtfertigung dieser Grenze verlautbart wurde. Ebenso wenig wurde erklärt, wieso die 100.000 EUR – Grenze bereits damals steuerrechtlich bestimmt wurde und nun plötzlich Einkommen/Einkünfte sozialrechtlich, steuerrechtlich und familienrechtlich zu betrachten waren. Die steuerrechtlich zu bestimmende 100.000 EUR-Grenze war plötzlich einfach da. Die Literatur[5] schrieb:

Zitat

"Ihr Sinn besteht darin, eine Handhabe zur Verfügung zu stellen, in offensichtlichen Fällen von sehr hohem Einkommen nicht auf Kosten des Steuerzahlers eine ungerechtfertigte Sozialleistung erbringen zu müssen und auch um eine offensichtliche Skandalierung eines solchen Tatbestandes vermeiden zu wollen."

Lauter unbestimmte Rechtsbegriffe ohne nachprüfbare Substanz.

Da die 100.000-Euro-Grenze nahezu 20 Jahre lang nur für die existentielle Leistung der Grundsicherung (heute § 41 SGB XII) galt, haben die sich daraus ergebenden familienrechtlichen Fragen so gut wie keine Rolle gespielt. Es gab einfach keine ausreichende Anzahl von Fällen.

Erst mit der Ausweitung der 100.000-Euro-Grenze auch auf die Leistungen in speziellen Lebenslagen (z.B. Hilfe zur Pflege nach § 61 SGB XII) offenbaren sich die Probleme bei der Ermittlung von Elternunterhaltsansprüchen. Übersetzt bedeutet § 94 Abs. 1a SGB XII heute: Unterhaltsansprüche sind zwar grundsätzlich Einkommen i.S.d. § 82 SGB XII und hindern das Entstehen des Sozialhilfeanspruchs. Unterhaltsansprüche, die aus bis zu 100.000 EUR steuerlichem Jahreseinkommen nach § 2 EStG errechnet werden, werden aber gleichwohl als Einkommen im Sozialhilferecht nicht berücksichtigt (§ 94 Abs. 1a SGB XII). Solche Unterhaltsansprüche gehen deshalb auch nicht nach § 94 SGB XII auf das Sozialamt über. Dass die’steuerrechtlichen Einkünfte sich vom unterhaltsrechtlichen Einkommen deutlich unterscheiden, dürfte der Gesetzgeber damals wie heute schlichtweg übersehen haben. Deshalb steht eine Vielzahl unbeantworteter Fragen bei der Ermittlung des zivilrechtlichen Unterhaltsanspruchs im Raum, z.B.:

Welcher unterhaltsrechtliche Selbstbehalt soll ab wann für ein einzelnes unterhaltspflichtiges Kind gelten?
Was darf zur Ermittlung des unterhaltsrechtlich bereinigten Einkommens vorab von seinem Einkommen abgezogen/hinzuaddiert werden? Etc …

Das OLG München gibt in seiner Entscheidung vorsichtig und zurückhaltend erste Antworten und holt nach, was Aufgabe des Gesetzgebers gewesen wäre. Das OLG beantwortet diese Fragen naturgemäß nicht abschließend, prägt aber unter Hinweis darauf, dass die noch vor Verabschiedung des Angehörigen-Entlastungsgesetzes erfolgte Neufestsetzung der Selbstbehaltssätze durch die Leitlinienkonferenz der Oberlandesgerichte nach Inkrafttreten des Gesetzes keine die Rechtsprechung bindende Wirkung habe, einen ersten wichtigen Satz:

Zitat

"unter Berücksichtigung des Z...

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