Der Gesetzgeber wählt nicht nur bei der 26-Mio.-Euro-Erwerbsgrenze die Erwerberperspektive, sondern auch bei den im Fall derer Überschreitung geltenden Verschonungsmöglichkeiten im Wege des Abschmelzmodells (§ 13c ErbStG) und im Wege der Verschonungsbedarfsprüfung (§ 28a ErbStG). Wie dargelegt, führt jedoch die Bedürftigkeit des Steuerpflichtigen nicht automatisch zur Gefährdung des Bestands des Unternehmens und der betroffenen Arbeitsplätze. Vielmehr muss entscheidend sein, ob ein Zugriff des Erwerbers auf das Unternehmensvermögen das Unternehmen in seinem Bestand oder den Bestand der betroffenen Arbeitsplätze gefährdet. Konsequenterweise muss auch für das Abschmelzmodell und die Verschonungsbedarfsprüfung auf die Vermögenssituation beim übertragenen Unternehmen abgestellt werden.
Im Fall des Abschmelzmodells müsste demnach bei Vorliegen eines Großunternehmens (beispielsweise Unternehmen ab einem Jahresumsatz von 50 Mio. EUR) für jede weitere messbare Größeneinheit beim Unternehmen (beispielsweise jeder weitere Jahresumsatz in Höhe von 5 Mio. EUR) der Verschonungsabschlag um jeweils 1 % abschmelzen. Hierbei sollte auf eine gleichmäßige Abschmelzung des Verschonungsabschlags geachtet werden. Letzteres ist bei der derzeitigen Ausgestaltung – ungeachtet der ohnehin gegebenen systemwidrigen Erwerbsperspektive – nicht der Fall.
Auch im Fall der Verschonungsbedarfsprüfung wird deutlich, dass die Regelung systemwidrig auf eine Erwerberperspektive abstellt. Statt die Bedürftigkeit des Unternehmens und die damit einhergehende Gefahr für die betroffenen Arbeitsplätze in den Blick zu nehmen, erachtet der Gesetzgeber die Vermögensverhältnisse des Erwerbers für maßgeblich und prüft somit lediglich dessen Bedürftigkeit. Unter Berücksichtigung des Gesetzeszwecks muss jedoch konsequenterweise auch für die Verschonungsbedarfsprüfung auf die Vermögenssituation beim übertragenen Unternehmen abgestellt werden. Die Verschonungsbedarfsprüfung müsste systemgerecht im Grundsatz wie folgt ausgestaltet sein:
Maßgeblich muss die Bedürftigkeit des Unternehmens im Fall eines vollständigen Durchgriffs des Erwerbers sein. Sofern also das Unternehmen genügend verfügbares Vermögen aufweist, um einen Vermögenszugriff des Steuerpflichtigen in Höhe der Erbschaftsteuerlast bedienen zu können, kommt ein Erlass nicht in Betracht. Hingegen sollte die Erbschaftsteuer zum Zwecke des Verschonungsziels für den Steuerpflichtigen insofern erlassen werden, als dass die Steuer der Höhe nach das verfügbare Vermögen des Unternehmens überschreitet. Als verfügbares Vermögen sollten 50 % des nicht begünstigten Vermögens des Unternehmens zugrunde gelegt werden. Der 50 %-Abschlag dient der typisierten Erfassung solcher Mittel des Unternehmens, die ohne Gefährdung der Fortführung oder der Arbeitsplätze entnommen werden können. Indem der hälftige Abschlag vom Nettoverwaltungsvermögen genommen wird, werden grundsätzlich unbillige Härtefälle vermieden.
Durch die systemwidrige Perspektive werden entgegen den verfassungsrechtlichen Vorgaben die verschonungsbedürftigen Fälle nicht zielgenau erfasst. Nur durch die Maßgeblichkeit der Unternehmensperspektive kann festgestellt werden, ob der Bestand des Unternehmens und die betroffenen Arbeitsplätze durch einen möglichen Zugriff des Steuerpflichtigen gefährdet sind und deshalb eine Verschonung von der Erbschaftsteuerlast angebracht ist.