Testamentarischer Widerruf des Bezugsrechts einer Lebensversicherung

Im Jahr 2022 bestanden laut Statista in Deutschland ca. 81. Mio. Lebensversicherungsverträge. Bei einer Lebensversicherung handelt es sich um Verfügungen unter Lebenden zugunsten Dritter auf den Todesfall. Hierbei ist zu unterscheiden zwischen dem Deckungsverhältnis des Erblassers zum Versicherer einerseits, dass die Voraussetzungen für den Leistungsanspruch des Bezugsberechtigten gegenüber dem Versicherer regelt, und dem Valutaverhältnis zwischen dem Versicherer und dem Bezugsberechtigten andererseits, nach dem sich bestimmt, ob der Bezugsberechtigte die Zuwendung im Verhältnis zu den Erben des Verfügenden behalten darf. Beide Rechtsverhältnisse unterliegen allein dem Schuldrecht; erbrechtliche Bestimmungen finden insoweit keine Anwendung.[1]

Im Deckungsverhältnis liegt ein Vertrag zugunsten Dritter vor, durch den ein Bezugsberechtigter als Begünstigter gegenüber dem Erblasser mit dem Tod des Erblassers einen Anspruch auf Auszahlung des Versicherungsguthabens erhält (§§ 328, 331 BGB). Ob der Bezugsberechtigte auf diese Weise tatsächlich einen Rechtsgrund zum Behalten erworben hat, richtet sich nach dem Valutaverhältnis. Liegt dieser nicht vor, ist ggf. nach Bereicherungsrecht rückabzuwickeln.

In der Regel wir dem Valutaverhältnis eine Schenkung nach § 516 BGB zugrunde liegen. Die Benennung des Bezugsberechtigten ist der Sache nach als Schenkungsangebot des Erblassers zu werten. Der Schenkungsvertrag kommt dadurch zustande, dass das Schenkungsangebot des Erblassers vom Versicherer als Boten dem Bezugsberechtigten übermittelt wird und dieser das Angebot – ggf. stillschweigend – annimmt. Der Tod des Erklärenden hat keinen Einfluss auf die Wirksamkeit seiner Willenserklärung und das Zustandekommen eines Vertrags wird nicht dadurch gehindert, dass der Antragende vor der Annahme seines Angebots stirbt, §§ 130 Abs. 2, 153 BGB. Der Formmangel der Schenkung wird in diesem Fall durch die Bewirkung der Leistung nach § 518 Abs. 2 BGB geheilt.[2]

In jedem Erbfall ist daher zu prüfen, ob zum Zeitpunkt der Benachrichtigung des Bezugsberechtigten durch den Versicherer über das Bezugsrecht noch ein wirksames Schenkungsangebot vorlag oder ob dies wirksam widerrufen war. Häufig wird in diesem Zusammenhang ein Wettlauf zwischen dem Erben und Bezugsberechtigten beschrieben, der darüber zu entscheiden hat, ob der Bezugsberechtigte einen Rechtsgrund erlangt, der ihn zum Behaltendürfen der Versicherungsleistung berechtigt.

Der BGH und zuletzt auch das OLG Brandenburg[3] haben in diesem Wettstreit einen weiteren Aspekt eingebracht, der sich erheblich auf die Beratungs- und Gestaltungspraxis auswirkt: Eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die in Abwesenheit des Empfängers, hier des Bezugsberechtigten, abgegeben wird, wird nach § 130 Abs. 1 S. 2 BGB nicht wirksam, wenn dem Bezugsberechtigten vorher oder gleichzeitig ein Widerruf zugeht.[4] Den maßgeblichen Widerruf sieht die Rechtsprechung hierbei in der letztwilligen Verfügung des Erblassers. Ergibt sich aus der letztwilligen Verfügung, die nach der Benennung des Bezugsberechtigten gegenüber dem Versicherer errichtet wurde, dass der Erblasser mit dem Testament umfassend über sein Vermögen verfügen wollte, so kann hierin ein Widerruf des Bezugsrechts liegen, soweit dieses von den testamentarischen Verfügungen abweicht. Dabei ist es unerheblich, ob dem Erblasser das Bezugsrecht im Zeitpunkt der Errichtung des Testaments möglicherweise nicht mehr gegenwärtig war. Das für den Widerruf notwendige Erklärungsbewusstsein folgt daraus, dass der letztwilligen Verfügung des Erblassers eine Rechtswirkung im Erbfall zukommen soll. Dies gilt unabhängig davon, dass er sie bis zum Erbfall frei widerrufen kann. Das Bewusstsein, in einem Testament die Verteilung des Vermögens umfassend zu regeln, schließt das Bewusstsein, dass damit etwaige entgegenstehende frühere Erklärungen, die gegenüber dem Bedachten noch nicht bindend geworden sind, widerrufen werden, regelmäßig mit ein.[5] Das OLG Brandenburg gelangt zu der Auffassung, dass aus Sicht eines verständigen Erklärungsempfängers gem. §§ 133, 157 BGB bei einer umfassende Verfügung über das Vermögen durch letztwillige Verfügung nur ein Widerruf aller von der Verfügung abweichenden (widerruflichen) Bezugsrechte verstanden werden kann. Sind die Erklärungen bereits bindend geworden, wie dies etwa beim ODER-Konto der Ehegatten der Fall sein dürfte, oder liegt ein unwiderrufliches Bezugsrecht vor, findet diese Auslegung letztwilliger Verfügungen keine Anwendung.

Auch, wenn der Bezugsberechtigte nicht im Testament bedacht ist, geht der BGH davon aus, dass die notwendige Willenserklärung gegenüber dem Bezugsberechtigten abgegeben wurde, wenn sich das Testament in der amtlichen Verwahrung befindet und er Kenntnis darüber erhält. Für das Wirksamwerden einer empfangsbedürftigen Willenserklärung ist ausreichend, dass die Erklärung mit Willen des Erklärenden in den Verkehr gelangt ist und der Erk...

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