Die Fallbeispiele zeigen deutlich: Bei der gesetzlichen Regelung der Verbindlichkeit einer Patientenverfügung setzt der Gesetzgeber blauäugig die Mündigkeit des Bürgers voraus.
Die Befürworter des Gesetzes betonen zwar stets das Selbstbestimmungsrecht des Patienten. Verkannt wird bei dieser einseitigen Betrachtungsweise jedoch die dem gegenüberstehende Fürsorgepflicht des Staates. Das nun geltende Recht bietet jedenfalls keinen angemessenen Ausgleich zwischen dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen und dem verfassungsrechtlich garantierten Schutz des Lebens.
Die Gefahren sind vielschichtig: Zwar lässt sich berechtigterweise darüber streiten, ob eine Patientenverfügung, wie beispielsweise in Österreich, notariell beurkundet werden muss, um verbindlich zu sein. Nicht nachvollziehbar ist allerdings, weshalb darauf verzichtet wurde, die Verbindlichkeit einer Patientenverfügung an eine vorangegangene ärztliche Beratung zu knüpfen. Sicherlich entscheidet immer auch die fachliche und menschliche Qualität des aufklärenden Arztes über die Güte einer Patientenverfügung. Das ist jedoch ein Problem des allgemeinen Lebensrisikos und kann nicht zur Konsequenz haben, dass nun gar nicht mehr aufgeklärt werden muss und der Einzelne schutzlos der eigenen Unkenntnis oder gar Geld witternden Erben ausgeliefert ist.
Eine weitere Gefahr des Gesetzes liegt darin, dass unberücksichtigt gelassen wurde, dass sich der einmal verfügte Wille später auch gegen den Patienten richten kann. Einem durchschnittlich intelligenten Patienten ist es kaum möglich, jede eventuell eintretende Situation im Vorfeld zu berücksichtigen und konkrete Entscheidungen für Situationen zu treffen, die möglicherweise erst Jahre später relevant werden. Nachdem eine entsprechende Regelung zur regelmäßigen Aktualisierung fehlt, sind aber beispielsweise künftig auch Alt-Patientenverfügungen wirksam, obwohl nach neuestem medizinischen Stand bei einer Erkrankung doch noch Chancen auf Heilung bestünden – eine Behandlungssituation, die einen Arzt auch künftig vor eine moralisch höchst schwierige Entscheidung stellt, zumal eben nicht immer davon ausgegangen werden kann, dass sich der in der Verfügung niedergelegte Wille auch tatsächlich mit der konkreten Situation deckt.
Das Vormundschaftsgericht kann ebenfalls nur bedingt korrigierend eingreifen. Sind sich Arzt und Bevollmächtigter/Betreuer einig, besteht wie im zweiten Fallbeispiel kein Genehmigungserfordernis. Das soll nun nicht heißen, dass die Rolle des Vormundschaftsrichters zwingend ausgebaut und die Verantwortung den Gerichten hätte zugeschoben werden sollen. Das Bedürfnis nach Entbürokratisierung für medizinische Entscheidungen über den Erhalt oder die Beendigung des Lebens ist durchaus begrüßenswert. Wünschenswert und auch erforderlich wäre allerdings gewesen, die Probleme zwar nicht auf Verfahrensebene, sondern besser über die Anhebung der Voraussetzungen an die Verbindlichkeit bei der Errichtung der Verfügung selbst zu lösen. Wer verantwortungsbewusst mit dem eigenen Leben umgeht, scheut auch nicht den Gang zum Arzt und eine Beratung über Chancen und Risiken eines Behandlungsabbruchs!
Das künftig geltende Recht sieht entgegen dem anderen ebenfalls diskutierten, aber nicht mehrheitsfähigen Gesetzesentwurfes von MdB Wolfgang Bosbach keine Reichweitenbegrenzung vor. Demgemäß ist nun jeder zuvor schriftlich niedergelegte Wille verbindlich, auch wenn der Sterbeprozess noch nicht begonnen hat. Nachdem eine sog. infauste Prognose nicht vorliegen muss, wird die Grenzziehung zu strafrechtlichen Fragen der auch nach künftigem Recht verbotenen Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB) mit dem neuen Recht jedenfalls nicht einfacher. Hier bleibt weiter abzuwarten und wohl der Kasuistik der Gerichte vorbehalten, inwieweit ärztliche Handlungen nach wie vor ge- oder verboten bzw. welche Formen der Sterbebegleitung im Sinne der Patientenautonomie zulässig sind.
Die neuen Regelungen gelten als sehr liberal und betonen stets, dass es Gebot der über allem stehenden Patientenautonomie sei, sich keinen medizinischen Maßnahmen unterwerfen zu müssen, die gegen den Willen des Betroffenen durchzuführen wären. Interessanterweise ist das Gesetz jedoch an einer Stelle restriktiver als die zuvor geltende Rechtslage: Bis zum Inkrafttreten des Gesetzes galt als zwingende Voraussetzung für die Verbindlichkeit einer Patientenverfügung stets, dass der Erklärende bei der Abgabe der Erklärung einsichtsfähig gewesen sein musste. Unter Einsichtsfähigkeit versteht man bekanntlich, dass der Erklärende um die Tragweite seiner Entscheidungen wissen musste. Einsichtsfähigkeit ist dabei keinesfalls gleichbedeutend mit Geschäftsfähigkeit im Sinne von Volljährigkeit: Auch ein Minderjähriger kann im Einzelfall die Bedeutung und Tragweite seines Handelns einschätzen. Im oben behandelten Fallbeispiel kommt der Patientenverfügung der minderjährigen Natascha keine Bedeutung zu, und zwar alleine deshalb, weil Natascha gleichwohl einsichtsfähig – sie hatte sich sogar ärztl...