Prof. Dr. Dr. Thomas Gergen
Von 1855 bis 1930 wurden in Deutschland über 20 Anerbengesetze in Kraft gesetzt. In Art. 64 EGBGB wurde die Materie dem Landesgesetzgeber mit der einzigen Vorgabe überlassen, dass er das Recht des Erblassers, über das dem Anerbenrecht unterliegende Grundstück von Todes wegen zu verfügen, nicht beschränken kann. In der Diskussion über die Frage, ob die geltenden Anerbengesetze und insbesondere der Vorzug des männlichen Geschlechts bei der Erbfolge mit Art. 3 GG vereinbar sind, wurde immer wieder auf die geschichtliche Entwicklung und die Anerbengesetze hingewiesen.
Zu unterscheiden sind unmittelbares und mittelbares Anerbenrecht. Nach dem unmittelbaren Anerbenrecht sind gewisse, nach objektiven Kriterien bestimmte Höfe kraft Gesetzes diesem unmittelbar unterstellt. Nach mittelbarem Anerbenrecht ist dies abhängig von einem Antrag des Hofeigentümers auf Eintragung in ein öffentliches Register. Alle Anerbengesetze legten Abfindungsansprüche für die weichenden Erben fest, die sich nicht nach dem Verkehrswert des Hofs, sondern unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Lage nach dessen Ertragswert bestimmten. Die meisten Gesetze legten außerdem das Ältestenrecht fest, d. h., unter mehreren Miterben gleichen Ranges war der Älteste zum Anerben ausersehen. Lediglich in Baden, Oldenburg und Westfalen galt teilweise das Jüngstenrecht. In vorwiegend allen Anerbengesetzen waren die Söhne des Erblassers vor den Töchtern zu Anerben berufen; erst wenn keine Söhne vorhanden waren, fiel der Hof an eine Tochter. In Württemberg bestand in erster Linie ein Vorrang der Landwirte unter den Erben, d. h. zugunsten desjenigen, ob weiblich oder männlich, der in der Landwirtschaft ausgebildet und in ihr hauptberuflich tätig war. In Bremen war zudem geregelt, dass Töchter den Söhnen vorgehen, wenn diese nicht Landwirt waren und jene mit einem Landwirt verheiratet waren. In Kassel hatte ein Familienrat den Gutsübernehmer als die am besten geeignete Person zu bestimmen, wobei bei gleicher Eignung mehrerer Erben der Vorrang des Mannes galt. Unterschiedliche Ausgestaltung fand die Berufung des Erben, wenn der zunächst als Anerbe bestimmte weggefallen war: Mit Ausnahme von Bremen und Württemberg wurde hierbei die Erbfolge nach Stämmen festgelegt. Danach traten an die Stelle des weggefallenen Anerben dessen Kinder, wobei sich die Erbfolge nach Ältesten- oder Jüngstenrecht ergab. So konnte z. B. die älteste Tochter des ältesten Sohnes vor dem anderen Sohn und der Tochter des Erblassers und vor deren Söhnen und Töchtern berufen sein. In Brandenburg und Schlesien traten an die Stelle des weggefallenen älteren Sohnes dessen männliche Nachkommen.
Festzuhalten bleibt also, dass in früheren Anerbengesetzen allgemein von einem Vorzug des Mannes bei der Intestaterbfolge gesprochen werden konnte.