Prof. Dr. Dr. Thomas Gergen
Bevor auf die Darstellung der einzelnen Begründungsansätze, ob der Vorrang des männlichen Geschlechts gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 2, 3 GG verstößt, eingegangen werden kann, bedarf es im Vorfeld der Erläuterung, welche Grundvoraussetzung in den 1950er- und 1960er-Jahren es ermöglichte, dass eine scheinbar so offensichtliche Ungleichbehandlung der Geschlechter eine so lebhafte juristische Auseinandersetzung nach sich zog. Der entscheidende Punkt lag im Verständnis des Gleichheitssatzes des Art. 3 GG.
1. Definition des BVerfG
Grundlage für weitere Entscheidungen war die Definition des Bundesverfassungsgerichts, wann von einer Verletzung des Gleichheitssatzes ausgegangen werden kann: "Der Gleichheitssatz ist verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt, kurzum, wenn die Bestimmung als willkürlich bezeichnet werden muss." Demnach sei durch den allgemeinen Gleichheitssatz eine Differenzierung verboten, wo sie Willkür bedeuten würde. In Art. 3 Abs. 2 und 3 GG wurde eine Konkretisierung des allgemeinen Gleichbehandlungssatzes von Art. 3 Abs. 1 GG gesehen: Dieser werde hierbei dahingehend konkretisiert, dass die angegebenen Vergleichspaare keinesfalls als Anknüpfungspunkte für eine rechtlich unterschiedliche Behandlung verwandt werden dürften, dass die in diesen Bestimmungen bezeichneten Unterschiede keinen Grund für eine rechtliche Benachteiligung oder Bevorzugung abgeben und diese Merkmale nicht die Ursache einer Sonderbehandlung sein dürften.
Problematisch war, dass Art. 3 Abs. 2 GG unterschiedlich ausgelegt wurde.
2. Enge Auslegung: absolutes Differenzierungsverbot
Nach der einen Ansicht sollte Art. 3 Abs. 2 GG eng ausgelegt werden. Der Gleichberechtigungsgrundsatz enthalte in Abs. 2 und 3 ein absolutes Differenzierungsverbot, das eine unterschiedliche Behandlung der Geschlechter wegen psychischer, physischer oder funktionaler Gesichtspunkte gänzlich untersage. Der Regelungscharakter des Gleichbehandlungssatzes verbiete es, die "Gleichberechtigung trotz Geschlechterverschiedenheit wieder mit dem Argument der Geschlechterverschiedenheit einzuschränken". Die "von Natur gegebene Verschiedenheit" von Mann und Frau sei für die rechtliche Ordnung auszuschalten. Das Differenzierungsverbot schließe lediglich Regelungen für Sachverhalte aus, die schlechthin geschlechtsbezogen auf den biologischen Unterschieden beruhen. So seien Menstruation, Defloration, Schwangerschaft und Geburt Sachverhalte, die sachgerechte Normen rechtfertigen könnten. Unterschiede wegen des Geschlechts seien danach solche Ungleichheiten, die gerade nicht zu einer Differenzierung berechtigten. Der Gleichheitssatz verleihe gerade dem Ungleichen "die Rechtsmacht zu verlangen, dass er wegen seiner Ungleichheit nicht auch ungleich behandelt" werde. Bei der Prüfung des Gleichheitssatzes handele es sich schließlich um eine rein formale Prüfung, sodass ohne Bewertung des inhaltlichen Gehalts ein Gesetz verfassungswidrig sei, das eine unterschiedliche Behandlung der Geschlechter bezwecke.
3. Weite Auslegung: für Differenzierung
Die andere Ansicht sprach sich gegen eine strikte Anwendung des Gleichberechtigungssatzes aus. Die Beurteilung eines Sachverhalts bei Art. 3 Abs. 2, 3 GG solle demnach unter Berücksichtigung von Unterschieden zwischen den Geschlechtern erfolgen dürfen, weil "Einschränkungen, die der Natur der Sache entsprechen, unmöglich gegen die Gleichheitsforderung verstoßen" könnten. Neben den biologischen Unterschieden sollen physische, psychische, soziologische Unterschiede und funktionale Unterschiede vor allem in der Arbeitsteilung der Geschlechter berücksichtigt werden und somit eine unterschiedliche Behandlung der Geschlechter im Recht erlauben. Eine Differenzierung nach diesen Unterschieden rechtfertige allerdings selbst noch keine Ungleichbehandlung.
Es komme zum einen auf den Grad der Unterschiede und ihre Bedeutung für das konkrete zu regelnde Lebensverhältnis an. Zum anderen werden weitere Kri...