Leitsatz
1. Das Nachlassgericht ist an die übereinstimmende Auslegung einer letztwilligen Verfügung durch die Beteiligten nicht gebunden.
2. Zur Auslegung der Bestimmung in einem Ehe- und Erbvertrag, wonach eines der gemeinsamen Kinder nach dem Tod des Letztversterbenden "Anspruch auf das Anwesen" haben soll.
OLG München, Beschluss vom 8. Juni 2010, 31 –Wx 048/10 e
Sachverhalt
Die Erblasserin ist 1990 im Alter von 80 Jahren verstorben. Ihr Ehemann, mit dem sie seit 1933 verheiratet gewesen war, ist 1978 vorverstorben. (...) Die Ehegatten haben am 17.4.1941 einen Ehe- und Erbvertrag geschlossen, mit dem sie Gütergemeinschaft vereinbart und sich gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt haben.
Mit Übergabevertrag vom selben Tag erhielt der Ehemann der Erblasserin von seiner verwitweten Mutter das "Anwesen Haus Nr. ... , bestehend aus" den im Einzelnen aufgelisteten bebauten und unbebauten Grundstücken "zu Zwecken des landwirtschaftlichen Betriebs". Der Ehe- und Erbvertrag lautet auszugsweise wie folgt:
Zitat
" III. Herr J. und Frau T. L. setzen sich gegenseitig als Alleinerben ein. Beim Ableben eines Teiles ist der überlebende Eheteil lediglich verpflichtet, an etwa vorhandene Pflichtteilsberechtigte den gesetzlichen Pflichtteil auszuweisen und sicher zu stellen. Sollte der überlebende Teil wieder heiraten, so ist er verpflichtet, das den Abkömmlingen des Erstverstorbenen ausgezeigte Vater- oder Muttergutsvermächtnis auf die Höhe des gesetzlichen Erbteiles zu ergänzen, es also gegebenenfalls zu verdoppeln. "
IV. Die Beteiligten haben alles Interesse daran, dass das schon seit 270 Jahren im Besitze der Familie L. befindliche Anwesen auch ferner im Besitze eines Sohnes der Familie L. bleibt. Zu diesem Zwecke wird noch folgendes bestimmt: Sollte Frau T. L. der überlebende Eheteil sein und wieder heiraten, so ist sie verpflichtet, das Anwesen an einen erstehelichen Sohn nach ihrer Wahl zu übergeben. Für die Übergabe haben die ortsüblichen Bedingungen zu gelten; die Gegenleistungen für die Übernahme dürfen auf keinen Fall den Steuereinheitswertüberschreiten, wobei das eigene Elterngut des Übernehmers angemessen zu berücksichtigen ist.
Den Zeitpunkt der Übergabe hat die Mutter zu bestimmen. Die gleiche Verpflichtung geht, falls die Mutter nicht zu Lebzeiten übergibt, auf ihre Erben über.
Sollte die Mutter nicht zu Lebzeiten übergeben oder durch Testament einem erst-ehelichen Sohn das Anwesen zugewendet haben, so hat der älteste Sohn der Mutter Anspruch auf das Anwesen.“
Nach dem Tod der Erblasserin wies das Nachlassgericht mit Schreiben vom 4.2.1991 darauf hin, dass der Erbvertrag wohl keine Erbeinsetzung enthalte und gesetzliche Erbfolge eingetreten sei. Ein Erbscheinsantrag wurde zunächst nicht gestellt. Am 21.8.1995 erklärten die Beteiligten zu 1 bis 3 zur Niederschrift des Nachlassgerichts, der Ehe- und Erbvertrag vom 17.4.1941 werde übereinstimmend dahingehend ausgelegt, dass der Beteiligte zu 3 zum Alleinerben berufen sei. Es sei der Wille beider Eltern gewesen, ihm das Anwesen zuzuwenden, das den weit überwiegenden Teil des Nachlasses ausmache. Antragsgemäß wurde am selben Tag dem Beteiligten zu 3 ein Erbschein als Alleinerbe erteilt.
Mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 16.11.2009 beantragten die Beteiligten zu 1 und 2 die Einziehung des Erbscheins vom 21.8.1995. <..>Mit Beschluss vom 17.2.2010 ordnete das Nachlassgericht die Einziehung des Erbscheins vom 21.8.1995 an. Dagegen legte der Beteiligte zu 3 Beschwerde ein, der das Nachlassgericht nicht abgeholfen hat. Der Erbschein vom 21.8.1995 wurde mit Beschluss vom 21.4.2010 für kraftlos erklärt.
Aus den Gründen
Die Beschwerde ist nach erfolgter Einziehung zulässig mit dem Ziel, einen neuen gleichlautenden Erbschein zu erhalten (§ 353 Abs. 2 FamFG). Das Rechtsmittel ist jedoch nicht begründet.
Das Nachlassgericht hat zu Recht die Einziehung des Erbscheins vom 21.8.1995 angeordnet, weil er nicht der Erbrechtslage entspricht (§ 2361 BGB). Der Einziehung steht nicht entgegen, dass der Erbschein aufgrund einer einverständlichen Erklärung der Beteiligten über die Auslegung des Ehe- und Erbvertrags vom 17.4.1941 erteilt wurde, denn diese ist für das Nachlassgericht nicht verbindlich. Selbst ein – nach § 2385 BGB formbedürftiger – Auslegungsvertrag begründet nur schuldrechtliche Verpflichtungen der Beteiligten untereinander, nicht aber eine Bindung des Nachlassgerichts (vgl. Palandt/Edenhofer BGB 69. Aufl., § 2359 Rn 5; § 2385 Rn 2).
1. Der Ehe- und Erbvertrag vom 17.4.1941 enthält keine Einsetzung des Beteiligten zu 3 als Alleinerben nach der Erblasserin. a) In Ziffer IV, letzter Satz, des Ehe-und Erbvertrags wird dem ältesten Sohn ein "Anspruch auf das Anwesen" eingeräumt für den Fall, dass die Mutter es nicht zu Lebzeiten übergibt oder durch Testament einem erstehelichen Sohn zuwendet. Schon dem Wortlaut nach handelt es sich um die Einräumung eines schuldrechtlichen Anspruchs bzw. eines Übernahmerechts im Rahmen der Auseinandersetzung hinsichtlich des "Anwesens Haus Nr. ..." zugunsten des ältesten ...