Das Brief- und das Fernmeldegeheimnis sind aus Sicht des Zivilrechts besondere Erscheinungsformen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, das als absolutes Recht wiederum aus dem verfassungsrechtlichen Schutzauftrag der Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG hergeleitet wird. Die in den Grundrechten getroffenen Wertentscheidungen, insbesondere auch die des Art. 10 GG, strahlen insoweit in das Privatrecht aus.
a) Reichweite des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bestimmt sich durch Abwägung
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht – und damit auch das Brief- und Fernmeldegeheimnis – ist keine absolute Größe. Vielmehr ist, wie der BGH es jüngst noch einmal formuliert hat, "[d]as allgemeine Persönlichkeitsrecht (...) ein Rahmenrecht, dessen Reichweite nicht absolut feststeht. Diese muss vielmehr durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalls sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretationsleitend zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt (...)."
Der Bestimmung der Reichweite des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und damit auch des Brief- und Fernmeldegeheimnisses liegt also eine Interessenabwägung zugrunde und nur bei einem Überwiegen der Schutzinteressen des Betroffenen gegenüber den schutzwürdigen Belangen der anderen Seite, also des Eingreifenden, liegt ein rechtswidriger Eingriff vor.
b) Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensführung und Einwilligung
Anders ist es nur im Kernbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, denn "[d]er Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung ist einer Abwägung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht zugänglich (...)." Allerdings ist ein rechtswidriger Eingriff auch in diesen Kernbereich dann ausgeschlossen, wenn der Betroffene dem eingreifenden Verhalten zugestimmt hat, also seine Einwilligung erteilt hat. Dazu noch einmal der BGH: "Der Schutz des Persönlichkeitsrechts kann allerdings entfallen oder zumindest im Rahmen der Abwägung zurücktreten, wenn der Grundrechtsträger den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung von sich aus öffnet, bestimmte, an sich dem unantastbaren Kernbereich zuzurechnende Angelegenheiten der Öffentlichkeit zugänglich macht und damit zugleich die Sphäre anderer oder die Belange der Gemeinschaft berührt (...)." Wenn wir uns diese Zusammenhänge vor Augen führen, wird deutlich, dass das KG Berlin bei seiner Prüfung auch die berechtigten Interessen der Erben hätte beachten und gegen die Schutzinteressen der Kommunikationspartner der Tochter in Abwägung hätte bringen müssen. Das tut das Gericht in seinem Urteil allerdings an keiner Stelle.
c) Abwägung auch im Rahmen des § 88 Abs. 3 TKG
Zugunsten des KG Berlin könnte man nun ins Feld führen, dass in dem von ihm zu entscheidenden Fall gerade kein erst durch Abwägung in seiner Reichweite zu bestimmendes "allgemeines Rahmenrecht" zur Debatte stand, sondern die sehr konkrete Regelung des § 88 Abs. 3 TKG, die nach ihrem insoweit eindeutigen Wortlaut gerade keine Abwägung vorsieht. Ein solcher Einwand griffe aber zu kurz. Wie das KG Berlin selbst anerkennt (Rn 103 ff), kann jeder an der Kommunikation Beteiligte durch Einwilligung auf den Schutz des § 88 Abs. 3 TKG verzichten. Neben der ausdrücklich oder konkludent erklärten Einwilligung ist zudem auch immer an die gewohnheitsrechtlich anerkannte mutmaßliche Einwilligung zu denken.
Sowohl der Rechtfertigung aufgrund einer erklärten Einwilligung als auch aufgrund einer mutmaßlichen Einwilligung liegt aber wiederum dasjenige Prinzip zugrunde, das uns bereits bei der Bestimmung der Reichweite des allgemeinen Persönlichkeitsrechts begegnet ist, nämlich das Prinzip des überwiegenden Interesses. Sowohl bei der Auslegung einer bereits erteilten Einwilligung als auch bei der Frage, ob ggf. eine mutmaßliche Einwilligung vorliegt, müssen deshalb sowohl die Interessen des Rechtsgutträgers als auch die des anderen Teils, des "Eingreifenden", gegeneinander abgewogen werden.