Zwei beim BFH gerade anhängig gewordene Revisionen zeigen wieder, dass der Abzug von Nachlassverbindlichkeiten nach § 10 ErbStG zunehmend streitiger zwischen Steuerpflichtigen und der Finanzverwaltung wird. Man ist gut beraten, im Zweifelsfall verfahrensrechtlich ein Erbschaftsteuerfestsetzungsverfahren "offen" zu halten, ggf. durch punktuelle Vorläufigkeitsvermerke nach § 165 AO, auch über die Festsetzungsfrist hinaus:
Im Fall des FG Münster (v. 4.2.2021 3 K 1941/16 Erb, EFG 2021, 775 – Rev. BFH II R 5/21) ging es um die leider jedenfalls auf erstinstanzlicher Ebene vergebliche Nachmeldung von Nachlassverbindlichkeiten. Bei Abschluss des Erbschaftsteuerverfahrens war eine Pflichtteilsstreitigkeit noch nicht abgeschlossen. Man ging davon aus, das Endergebnis später erklären zu können. Das Finanzgericht ließ zwar die final für einen Pflichtteilsprozess im Zivilrecht erstmals entstandenen Prozesskosten nach bestandskräftiger Festsetzung der Erbschaftsteuer zum Abzug zu, nicht aber dagegen die eigentlich zu zahlenden Pflichtteilsansprüche nach §§ 2303 ff., 2325 ff. BGB etc. Ausschlaggebend war, dass es sich bei der finalen Bezifferung der Ansprüche in ihrer zivilgerichtlich bestätigten Höhe nicht um ein Ereignis mit Rückwirkung (§ 175 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 AO) handeln sollte, weil der Pflichtteilsanspruch dem Erben dem Grunde nach bereits vor Abschluss seines Besteuerungserfahrens bekannt war.
Bei wertender Betrachtung könnte man auch ggf. die finale Höhe des Pflichtteilsanspruchs, jedenfalls wenn sie von einer vorherigen Schätzung abweicht, als Ereignis mit Rückwirkung qualifizieren. Es kommt hier darauf an, wie konkret man das "Ereignis" definiert, also eben auf Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs überhaupt abstellt oder auf dessen finale Bezifferung bzw. Durchsetzung im Zivilrechtsstreit. Dass es sicherer ist, hier vorausschauend einen Vorläufigkeitsvermerk, betreffend die noch nicht final geklärte Höhe der gegen den Erben geltend gemachten Pflichtteilsansprüche, für den Abzug als Nachlassverbindlichkeit i.S.d. § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG (Erbfallschuld) im Steuerfestsetzungsverfahren geltend zu machen, liegt auf der Hand.
Im zweiten Fall (FG München v. 16.9.2020 4 K 2701/19, iuris – Rev. BFH II R 3/21) ging es darum, ob der Erbe es posthum noch in der Hand hatte, für das Todesjahr des Erblassers eine zuvor nur latente Einkommensteuerbelastung durch Stellung eines eigenen Antrags in eine abzugsfähige Erblasserschuld jetzt nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG zu "verwandeln". Latente Ertragssteuerschulden, die sich erst nach dem Tod des Erblassers z.B. durch eine Veräußerungshandlung des Erben verwirklichen, sind nämlich hier nicht abzugsfähig (BFH v. 27.9.2017 – II R 15/15, BStBl. II 2018, 281). Manche einkommensteuerauslösenden Tatbestände, wie auch der Antrag auf Auflösung eines Nachversteuerungsbetrages nach § 34a EStG bzw. hier die Erklärung einer Betriebsaufgabe bei Verpachtung nach Erzielung vormals gewerblicher Einkünfte i.S.d. § 2 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2,3 EStG sind nicht selten "mehraktig". Teile des steuerbegründenden Tatbestandes sind vom Erblasser gesetzt. Stets mindestens ein Element, nämlich der Antrag auf Auslösung der Einkommensteuer durch Auflösung des Nachsteuerbetrages oder – wie im Urteilsfall – durch die Erklärung der Betriebsaufgabe, werden aber erst vom Erben und Rechtsnachfolger nach dem Todestag verwirklicht. Es bleibt abzuwarten, ob der BFH hier doch noch den steuerbegründenden Tatbestand als vom Erblasser bereits ausreichend verursacht bejaht.
Generell ist darauf zu achten, wenn eine solche Entscheidung vom Erben postmortal getroffen wird, diesen Antrag, unabhängig von Zinseffekten, für ggf. ein weiter zurückliegendes, noch offenes Veranlagungsjahr zu stellen, am ehesten eben das letzte vor dem Todesjahr des Erblassers. Denn für letzteres ist die Einkommensteuerschuld zweifelsfrei am Ende eines Veranlagungszeitraums (31.12.) vor dem Stichtag (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) des Todes des Erblassers entstanden, ohne dass es auf die Rechtsprechung des BFH zur Auslösung des steuerbegründenden Tatbestandes durch den Erblasser selbst in seinem Todesjahr noch ankommt (vgl. dazu BFH v. 4.7.2012 – II R 15/11, BStBl. II 2012, 790). Entsteht dagegen die Einkommensteuer auf Antrag des Erben erst zum Ende gerade des Veranlagungszeitraums, in den der im Jahr zeitlich frühere, weil zumeist unterjährige Todesstichtag des Erblassers fällt, ist eben fraglich, ob der Erblasser noch in – für den Abzug als Nachlassverbindlichkeit nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG – ausreichendem Umfang den steuerbegründenden Tatbestand selbst ausgelöst hat.
Zerberus meint: Der Abzug von Passivposten ist rechnerisch genauso wichtig wie die Vermeidung steuerbarer Erwerbe von Aktiva. Wichtig ist die Differenz, also wieder einmal was "hinten rauskommt"!
ZErb 8/2021, S. 1