Maßgeblicher Vorteil der Drei-Stufen-Betrachtung der Rechtsprechung ist, dass den Beteiligten ein einheitliches Bewertungsinstrument zur Verfügung gestellt wird, welches die Höhe des Ausgleichungsbetrags zumindest in groben Zügen vorhersagbar macht.
Doch ist das von der Rechtsprechung entwickelte Bewertungsmodell durchaus auch auf Kritik gestoßen. So wird der Rechtsprechung zum einen vorgeworfen, durch die Berücksichtigung der Interessen der Pflichtteilsberechtigten im dritten Prüfungsschritt gegen die Gesetzessystematik zu verstoßen. Welcher Betrag den übrigen Erben bzw. Pflichtteilsberechtigten als Mindestanteil am Nachlass verbleiben müsse, könne wegen § 2316 Abs. 1 S. 1 BGB schließlich erst dann bestimmt werden, wenn der Ausgleichungsbetrag ermittelt sei. Die Vorschrift bestimmt, dass sich der Pflichtteil auf Grundlage eines fiktiven Ausgleichungserbteils berechnet, bei dem der Umfang des Ausgleichungsbetrags also schon konkret bestimmt sein muss. Der in der Literatur geäußerten Kritik ist zuzustimmen.
Die Interessen der Erbengemeinschaft bzw. der Pflichtteilsberechtigten bei der Wertbemessung deswegen vollkommen unberücksichtigt zu lassen, ginge aber zu weit. Deren Belange spielen schließlich sehr wohl dann eine Rolle, wenn es um die Frage geht, ob die Ausgleichungspflicht wertmäßig den gesamten Nachlass aufzehren darf. Dies wird von einigen Stimmen in Rechtsprechung und Literatur für möglich gehalten und u.a. mit der soeben beschriebenen Wertung aus § 2316 Abs. 1 S. 1 BGB begründet. Da es die Vorschrift ermögliche, die Teilhabe des Pflichtteilsberechtigten am Nachlass noch einmal zu verringern, stünde die sonst als unumstößlich geltende Untergrenze des Pflichtteilsrechts der vollständigen Aufzehrung des Nachlasses nicht entgegen.
Dem kann nur teilweise zugestimmt werden. Zwar trifft es grundsätzlich zu, dass der Gesetzgeber mit § 2316 Abs. 1 S. 1 BGB die Rechtsposition des Pflichtteilsberechtigten zusätzlich einschränkt, die Möglichkeit, dem ausgleichungsverpflichteten Pflichtteilsberechtigten jegliche Teilhabe am Nachlass zu entziehen, wollte der Gesetzgeber hiermit aber wohl nicht schaffen. Dies ergibt sich bereits aus verfassungsrechtlichen Gründen. So hat das BVerfG dem Gesetzgeber zwar einen gewissen Gestaltungsspielraum bei der Ausgestaltung des Pflichtteils eingeräumt, eine angemessene Nachlassbeteiligung naher Familienangehöriger ist nach Auffassung des Gerichts dennoch stets zu gewährleisten. Bereits aufgrund der verfassungsrechtlich verbrieften Erbrechtsgarantie aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG ist es damit nicht zulässig, dass der gesamte Nachlasswert aufgezehrt wird. Bis zu welcher Höhe die Pflegeleistungen nachlassmindernd berücksichtigt werden können, lässt sich jedoch – und das wird zurecht angemerkt – nur für jeden Einzelfall gesondert bestimmen.
Während sich bei Einbeziehung der Pflichtteilsinteressen der übrigen Abkömmlinge ein gewisses Maß an Rechtsunsicherheit wohl nicht verhindern lässt, gilt dies nicht für die von der Rechtsprechung im zweiten Prüfungsschritt stellenweise mehr oder weniger beliebig festgelegte Berücksichtigung des besonderen immateriellen Werts der familiären Pflege. Wie ein Urteil des OLG Schleswig zeigt, kann dies im Einzelfall dazu führen, dass sich der Ausgleichungsbetrag verdoppelt. Hierdurch setzt sich die Rechtsprechung nicht nur gewissermaßen in Widerspruch zu dem oben behandelten Kriterium des Nachlasserhalts, sondern beseitigt ein Stück weit auch die dank des ersten Prüfungsschritts erzielte Vorhersagbarkeit des Ausgleichungsbetrags. Dass man auch ohne die pauschale Doppelung des Ausgleichungsbetrags im zweiten Prüfungsschritt zu interessengerechten Ergebnissen kommen kann, zeigt eine Entscheidung des OLG Frankfurt, die auf eine entsprechende Erhöhung des Ausgleichungsbetrags verzichtet. Unabhängig davon erscheint eine gesonderte Berücksichtigung des immateriellen Werts der Pflegeleistungen ohnehin nicht mehr in jedem Fall zwingend geboten, da mittlerweile auch nicht verrichtungsbezogene Leistungen, die der Deckung zwischenmenschlicher Bedürfnisse dienen, zu den ausgleichungsrelevanten Pflegeleistungen zählen. Auch wenn bei § 2057a Abs. 1 S. 2 BGB keine "minutiöse Einzelfeststellung" der jeweiligen Kostenpositionen zu erfolgen hat und daher an sich Raum für die Berücksichtigung des besonderen Werts familiärer Pflege besteht, erscheint daher insgesamt im Sinne der Rechtssicherheit eine gewisse Zurückhaltung geboten.
Auf den ersten Blick etwas komplex und daher für die praktische Anwendung problematisch erscheint auch die von der Rechtsprechung gewählte Bemessungsgrundlage für die Ausgleichung. Wie oben gezeigt, stellen die Gerichte zunächst auf die durch die Pflegeleistungen ersparten Heimunterbringungskosten ab, welche aus der jeweiligen Pflegestatistik des Statistischen Bundesamts entnommen werden können und sich grundsätzlich je nach Pflegegrad unterscheiden. Von diesen hypothetischen He...