Leitsatz
1. Ein Widerspruch i.S.v. § 2258 Abs. 1 BGB liegt auch dann vor, wenn der Erblasser mit dem späteren Testament seine Erbfolge insgesamt, d.h. abschließend und umfassend, neu geregelt hat.
2. Im Erbscheinerteilungsverfahren gehen verbleibende Zweifel zulasten desjenigen, der einen Widerspruch zwischen dem früheren und einem späteren Testament geltend macht.
3. Bei der Beantwortung der Frage, ob ein späteres Testament die Erbfolge vollständig und abschließend neu regelt, sind alle Umstände des Falls zu berücksichtigen, die Aufschluss über den Testierwillen des Erblassers geben können. Neben dem Wort der zur Beurteilung stehenden testamentarischen Verfügung ist auch der Inhalt früherer Testamente sowie eine dort erkennbare Übung des Erblassers, vollständige Testamente zu errichten, die allenfalls durch Streichungen oder Ergänzungen geändert werden, zu berücksichtigen.
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19.12.2023 – 3 Wx 189/23
1 Gründe
I.
Die Erblasserin verstarb ledig und kinderlos. Sie hatte zwei Geschwister: den am … 2009 vorverstorbenen F.-K. und die am … 2020 vorverstorbene Ch. Die Beteiligten zu 2. bis zu 4. sind die Kinder von F-K. Die Beteiligte zu 1. ist die Tochter des Beteiligten zu 4.
Die Erblasserin hinterließ vier handschriftliche Testamente.
Im Testament vom 3.4.2007 setzte die Erblasserin ihre Schwester Ch. zu ihrer Alleinerbin ein. Unterhalb des Testaments befindet sich eine auf den 20.4.2007 datierte Ergänzung, die wie folgt lautet:
Zitat
"Für den Fall, dass meine Schwester Ch. das Erbe nicht antreten kann, soll mein Bruder F-K., Alleinerbe meines gesamten Besitzes sein."
Die Ergänzung ist durchgestrichen. Oberhalb der Ergänzung findet sich der handschriftliche Vermerk: "Durchgestrichen am 26.4.2009" und daneben das Wort "ungültig", das seinerseits durchgestrichen wurde. Am Rand des Schriftstücks neben dem ergänzenden Text steht:
Zitat
"F-K ist am … 2009 gestorben."
Mit Testament vom 26.4.2009 erklärte die Erblasserin erneut die Einsetzung ihrer Schwester Ch. W. zu ihrer Alleinerbin. Unterhalb des Testaments brachte sie eine undatierte (und unvollständige) Ergänzung mit folgendem Wortlaut an:
Zitat
"Für den Fall, daß meine Schwester Ch. das Erbe nicht antreten kann, setze ich meine Großnichte … (lies: die Beteiligte zu 1.), … als"
Mit Testament vom 18.10.2009 erklärte die Erblasserin ein weiteres Mal die Einsetzung ihrer Schwester Ch. W. zu ihrer Alleinerbin. Im Testament heißt es:
Zitat
"Für den Fall, dass meine Schwester Ch. verstorben ist, setze ich zur Nacherbin meine Großnichte … (lies: die Beteiligte zu 1.), … ein."
Das Testament vom 27.4.2016 lautet wie folgt:
Zitat
Mein Testament Ich erkläre, dass ich im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte bin.
Für den Fall meines Todes setze ich, die Unterzeichnende … , . hiermit meine Schwester Ch., … zur Alleinerbin meines gesamten Eigentums ein.
Ihr gehört damit mein Haus, 4 … K2., U.str. … mit dem dazugehörenden Grundstück und allem, was darinnen ist. Außerdem gehört ihr all mein Geld.
Ich wiederhole, meine Schwester Ch. erbt alles, was mir gehört.“
Am 10.5.2021 erteilte die Erblasserin der Beteiligten zu 1. eine umfassende Vorsorgevollmacht.
Mit notariellem Erbscheinsantrag vom 24.11.2022 (UR-Nr. … der Notarin … in B.) beantragte die Beteiligte zu 1., ihr einen Erbschein zu erteilen, der sie als Alleinerbin ausweist.
Die Beteiligten zu 2. und 3. sind dem entgegengetreten. Sie haben geltend gemacht, da die Erblasserin im Testament vom 27.4.2016 lediglich ihre Schwester zur Alleinerbin eingesetzt und keine weiteren Verfügungen getroffen habe, habe sie keine Nach- oder Ersatzerbeneinsetzung verfügt. Das Testament sei dahingehend auszulegen, dass die Erblasserin von der im Testament vom 18.10.2009 verfügten Erbeinsetzung der Beteiligten zu 1. Abstand genommen habe. Anderenfalls hätte kein Anlass für die Errichtung des im Übrigen inhaltlich übereinstimmenden Testaments bestanden. Dafür spreche auch, dass die Erblasserin in allen Testamenten relevante Änderungen insbesondere hinsichtlich der Ersatzerbeneinsetzung vorgenommen habe, während die Erbeinsetzung von Ch. als Konstante in allen Testamenten vorgesehen gewesen sei. Dass die Erblasserin nach dem Tod von Ch. kein neues Testament errichtet habe, könne dahingehend verstanden werden, dass sie ein solches nach dem Tod der von ihr vorgesehenen Erbin nicht mehr benötigte. Es sei danach die gesetzliche Erbfolge anzuwenden.
Mit Beschl. v. 7.6.2023 hat das Nachlassgericht den Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1. zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, die Erblasserin habe mit letztwilliger Verfügung vom 27.4.2016 die vorangegangenen Testamente, insbesondere dasjenige vom 18.10.2009, aufgehoben.
Der Beteiligte zu 4. hat mit notariellem Erbscheinsantrag der Notarin … in It. vom 10.7.2023 (UR-Nr. 213/2023) beim Nachlassgericht Erteilung eines Erbscheins nach gesetzlicher Erbfolge beantragt, der als Erben ausweist die unbekannten Erben des vorverstorbenen Vaters der Erblasserin zu ½ sowie die Beteiligten zu 2. bis zu 4. zu je 1/6.
Die Beteiligte zu 1. wendet ...