Nach Herrn Prof. Dr. Englisch seien die im Umsatzsteuerrecht geltenden Steuerprivilegien und Verschonungssubventionen auf den Prüfstand zu stellen. Es bestehe dringender Reformbedarf bzgl. der Steuerbefreiungen, und der Katalog der ermäßigten Steuersätze bedürfe einer Neuausrichtung und Entschlackung.
Grundsätzlich sei zwischen zwei Formen von Steuerbefreiungsregeln zu differenzieren: Steuervergünstigungen, die sicherstellten, dass Exporte im Herkunftsland entlastet würden, und die allgemeinen Steuerbefreiungen, die aus sozialpolitischen Erwägungen, als Vereinfachungsnormen oder zur Vermeidung etwaiger Doppelbesteuerungen gewährt würden. Die Steuerbefreiungen würden im Ergebnis allerdings nur auf die Gewährung eines ermäßigten Steuersatzes hinauslaufen, weil die Steuerbefreiung zur Folge habe, dass der leistende Unternehmer keinen Vorsteuerabzug geltend machen dürfe. Realitätsnah müsse daher unterstellt werden, dass der leistende Unternehmer versuche, die nicht abziehbare Steuer auf den vorgelagerten Umsatzstufen an seinen Kunden weiterzureichen. Insofern bestünden, mit Ausnahme der Exportbefreiungen, keine Steuerbefreiungen im Umsatzsteuergesetz, sondern lediglich zusätzliche Steuerermäßigungen. Diese Art der Entlastung sei wertungswidersprüchlich, aber EU-rechtlich zwingend vorgegeben.
Bei den ermäßigten Steuersätzen belasse das Europarecht dem deutschen Gesetzgeber demgegenüber Gestaltungsspielräume. Die Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie der EU normiere lediglich, dass ermäßigte Steuersätze nur für bestimmte, im Einzelnen dort aufgeführte Kategorien von Waren und Dienstleistungen angewendet werden dürften. Entscheidungsspielraum habe der Gesetzgeber insbesondere innerhalb der jeweiligen Güterkategorien der Richtlinie, welche einzelnen Waren und Dienstleistungen er ermäßigt besteuern möchte. Soweit der deutsche Gesetzgeber jedoch selbst gesetzgeberisch tätig werde, sei er nach wie vor einer strengen Grundrechtsbindung unterworfen. Die ermäßigten Steuersätze bedürften insofern einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. Grundsätzlich sei eine Steuerverschonung im Bereich der Aufwendungen für das Existenzminimum erforderlich. Jedoch falle eine gesetzliche Typisierung dahingehend schwer, ob bestimmte Waren oder Dienstleistungen einen existenziellen Bedarf abdeckten oder nicht. Es gebe insgesamt nur relativ wenige Güterkategorien, die dem Grunde und der Höhe nach typischerweise vollumfänglich existenziellen Bedarf darstellten. Hierunter könnten allenfalls die Lieferung von Wasser und für medizinische Geräte, Zeitungen, apothekenpflichtige Arzneimittel fallen. Im Bereich der Dienstleistungen seien Steuerermäßigungen vor allem im Bereich der Straßenreinigung und Müllabfuhr gerechtfertigt. Alle übrigen Steuersatzermäßigungen ständen allerdings zur Disposition des Gesetzgebers, was insbesondere für den Bereich der Lebensmittel gelte.