Leitsatz
Formulieren Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament eine Schlusserbeinsetzung für den Fall des "gleichzeitigen Ablebens" oder "gleichzeitigen Versterbens", so sind nach dem Wortlaut grundsätzlich auch die Fälle erfasst, in welchen die Erblasser nur kurze Zeit hintereinander versterben und dem überlebenden Ehegatten hierdurch keine Zeit mehr für die Errichtung eines neuen Testamentes verbleibt. Umgekehrt bedeutet dies nicht, dass die ausdrücklich für den Fall des gleichzeitigen Versterbens der Eheleute angeordnete Erbeinsetzung auch dann gelten soll, wenn die Eheleute in einigem zeitlichen Abstand versterben. Etwas anderes kann ausnahmsweise nur dann gelten, wenn im Einzelfall besondere Umstände festgestellt werden können, die belegen, dass die Ehegatten entgegen dem Wortsinn die Anordnung des "gleichzeitigen Ablebens" so verstanden haben, dass die Erbeinsetzung auch für den Fall gelten soll, dass die Eheleute nacheinander versterben und sich hierfür ein Anhaltspunkt im Testament findet.
BGH, Beschluss vom 19. Juni 2019 – IV ZB 30/18
Sachverhalt
I. Die kinderlose Erblasserin starb am 5. Juli 2016; ihr Ehemann war am 10. März 2015 vorverstorben. Die Beteiligte zu 1 ist die Cousine der Erblasserin, die Beteiligten zu 2 bis 5 sind Nichte und Neffen des Ehemannes der Erblasserin. Die Erblasserin und ihr Ehemann hatten am 1. Dezember 2002 handschriftlich ein gemeinschaftliches Testament errichtet, in dem sie sich gegenseitig als Alleinerben eingesetzt hatten. Am 7. März 2012 hatten sie folgenden Text angefügt:
Zitat
Für den Fall eines gleichzeitigen Ablebens ergänzen wir unser Testament wie folgt:
Das Erbteil soll gleichmäßig unter unseren Neffen bzw. Nichte [es folgen die Namen der Beteiligten zu 2 bis 5] aufgeteilt werden.
Auf Antrag des Beteiligten zu 2 erteilte das Nachlassgericht einen Erbschein, der die Beteiligten zu 2 bis 5 als Erben der Erblasserin zu je 1/4 auswies. Die Beteiligte zu 1 hat daraufhin gegenüber dem Nachlassgericht die Einziehung des Erbscheins angeregt und die Ansicht vertreten, die Testamentsergänzung sei keine allgemeine Schlusserbenregelung, sondern betreffe lediglich den Fall des gleichzeitigen Versterbens der Eheleute.
Mit Beschluss vom 14. September 2017 hat das Amtsgericht den Erbschein eingezogen. Das Oberlandesgericht hat die dagegen gerichtete Beschwerde der Beteiligten zu 2 bis 5 zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die vom Oberlandesgericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 2 bis 5, mit der sie eine Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht begehren.
Aus den Gründen
Die zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Das Beschwerdegericht hat in seiner Entscheidung (ErbR 2019, 183) ausgeführt, die Beteiligten zu 2 bis 5 seien nicht Erben geworden. Die Testamentsergänzung vom 7. März 2012 bestimme eine Erbeinsetzung lediglich für den Fall des gleichzeitigen Ablebens. Im Hinblick auf die Frage, ob die Eheleute mit ihren letztwilligen Verfügungen auch eine Regelung für den Fall hätten treffen wollen, dass sie im zeitlichen Abstand versterben, seien die Testamente daher auslegungsbedürftig. Die obergerichtliche Rechtsprechung, der sich der Senat anschließe, lege die Formulierung "bei gleichzeitigem Ableben" oder "bei gleichzeitigem Versterben" dahingehend aus, dass hiervon auch die Fälle erfasst werden sollten, in welchen die Ehegatten innerhalb eines kurzen Zeitraums nacheinander verstürben und der Überlebende in dieser Zeitspanne daran gehindert sei, ein neues Testament zu errichten. Eine für den Fall des gleichzeitigen Versterbens getroffene Erbeinsetzung gelte aber grundsätzlich nicht für den hier vorliegenden Fall, dass die Ehegatten nacheinander in erheblichem zeitlichen Abstand verstürben.
Eine Ausnahme von den oben ausgeführten Grundsätzen könne nur angenommen werden, wenn aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls festgestellt werden könne, dass die Testierenden den Begriff des "gleichzeitigen Ablebens" entgegen dem Wortsinn dahingehend verstanden hätten, dass er auch das Versterben in erheblichem zeitlichen Abstand umfassen solle, und wenn sich darüber hinaus eine Grundlage in der vorliegenden Verfügung von Todes wegen finde. Das sei hier nicht der Fall.
Auch wenn man die in einer E-Mail des Beteiligten zu 5 geschilderten Äußerungen der Erblasserin und ihres Ehemannes ihm gegenüber als wahr unterstelle und infolgedessen von einem entsprechenden Erblasserwillen ausgehe, dass die Erbeinsetzung auch das Versterben in erheblichem zeitlichen Abstand umfassen solle, so sei dieser Wille dennoch nicht formgerecht im Sinne der §§ 2247, 2267 BGB erklärt. Denn es fehle an der für die Erfüllung der Form erforderlichen Grundlage oder auch nur Andeutung im Testament. Entsprechende Motive, Erläuterungen oder zusätzliche Bestimmungen enthalte das Testament nicht. Die Formulierung "unseren Neffen bzw. Nichte" sowie die namentliche Nennung böten keinen Hinweis auf eine Schlusserbeneinsetzung. Sie gäben Auskunft über das Näheverhältnis der...