Leitsatz (amtlich)

Zur Auslegung eines gemeinschaftlichen Testaments, in dem Schlusserben "für den Fall eines gleichzeitigen Ablebens" eingesetzt wurden.

 

Normenkette

BGB §§ 2247, 2267

 

Verfahrensgang

OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 23.10.2018; Aktenzeichen 21 W 38/18)

AG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 14.09.2017; Aktenzeichen 51 VI 1342/18)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 21. Zivilsenats des OLG Frankfurt vom 23.10.2018 wird auf Kosten der Beteiligten zu 2) bis 5) zurückgewiesen.

Der Geschäftswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 349.750,75 EUR festgesetzt.

 

Gründe

Rz. 1

I. Die kinderlose Erblasserin starb am 5.7.2016; ihr Ehemann war am 10.3.2015 vorverstorben. Die Beteiligte zu 1) ist die Cousine der Erblasserin, die Beteiligten zu 2) bis 5) sind Nichte und Neffen des Ehemannes der Erblasserin.

Rz. 2

Die Erblasserin und ihr Ehemann hatten am 1.12.2002 handschriftlich ein gemeinschaftliches Testament errichtet, in dem sie sich gegenseitig als Alleinerben eingesetzt hatten. Am 7.3.2012 hatten sie folgenden Text angefügt:

"Für den Fall eines gleichzeitigen Ablebens ergänzen wir unser Testament wie folgt: Das Erbteil soll gleichmäßig unter unseren Neffen bzw. Nichte [es folgen die Namen der Beteiligten zu 2 bis 5] aufgeteilt werden."

Rz. 3

Auf Antrag des Beteiligten zu 2) erteilte das Nachlassgericht einen Erbschein, der die Beteiligten zu 2) bis 5) als Erben der Erblasserin zu je 1/4 auswies.

Rz. 4

Die Beteiligte zu 1) hat daraufhin gegenüber dem Nachlassgericht die Einziehung des Erbscheins angeregt und die Ansicht vertreten, die Testamentsergänzung sei keine allgemeine Schlusserbenregelung, sondern betreffe lediglich den Fall des gleichzeitigen Versterbens der Eheleute.

Rz. 5

Mit Beschluss vom 14.9.2017 hat das AG den Erbschein eingezogen. Das OLG hat die dagegen gerichtete Beschwerde der Beteiligten zu 2) bis 5) zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die vom OLG zugelassene Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 2) bis 5), mit der sie eine Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht begehren.

Rz. 6

II. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

Rz. 7

1. Das Beschwerdegericht hat in seiner Entscheidung (ErbR 2019, 183) ausgeführt, die Beteiligten zu 2) bis 5) seien nicht Erben geworden.

Rz. 8

Die Testamentsergänzung vom 7.3.2012 bestimme eine Erbeinsetzung lediglich für den Fall des gleichzeitigen Ablebens. Im Hinblick auf die Frage, ob die Eheleute mit ihren letztwilligen Verfügungen auch eine Regelung für den Fall hätten treffen wollen, dass sie im zeitlichen Abstand versterben, seien die Testamente daher auslegungsbedürftig.

Rz. 9

Die obergerichtliche Rechtsprechung, der sich der Senat anschließe, lege die Formulierung "bei gleichzeitigem Ableben" oder "bei gleichzeitigem Versterben" dahingehend aus, dass hiervon auch die Fälle erfasst werden sollten, in welchen die Ehegatten innerhalb eines kurzen Zeitraums nacheinander verstürben und der Überlebende in dieser Zeitspanne daran gehindert sei, ein neues Testament zu errichten. Eine für den Fall des gleichzeitigen Versterbens getroffene Erbeinsetzung gelte aber grundsätzlich nicht für den hier vorliegenden Fall, dass die Ehegatten nacheinander in erheblichem zeitlichen Abstand verstürben.

Rz. 10

Eine Ausnahme von den oben ausgeführten Grundsätzen könne nur angenommen werden, wenn aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls festgestellt werden könne, dass die Testierenden den Begriff des "gleichzeitigen Ablebens" entgegen dem Wortsinn dahingehend verstanden hätten, dass er auch das Versterben in erheblichem zeitlichen Abstand umfassen solle, und wenn sich darüber hinaus eine Grundlage in der vorliegenden Verfügung von Todes wegen finde. Das sei hier nicht der Fall.

Rz. 11

Auch wenn man die in einer E-Mail des Beteiligten zu 5) geschilderten Äußerungen der Erblasserin und ihres Ehemannes ihm gegenüber als wahr unterstelle und infolgedessen von einem entsprechenden Erblasserwillen ausgehe, dass die Erbeinsetzung auch das Versterben in erheblichem zeitlichen Abstand umfassen solle, so sei dieser Wille dennoch nicht formgerecht i.S.d. §§ 2247, 2267 BGB erklärt. Denn es fehle an der für die Erfüllung der Form erforderlichen Grundlage oder auch nur Andeutung im Testament. Entsprechende Motive, Erläuterungen oder zusätzliche Bestimmungen enthalte das Testament nicht. Die Formulierung "unseren Neffen bzw. Nichte" sowie die namentliche Nennung böten keinen Hinweis auf eine Schlusserbeneinsetzung. Sie gäben Auskunft über das Näheverhältnis der Eheleute zu den Beteiligten zu 2) bis 5) und darüber, dass auch die Erblasserin diese als "ihre" Neffen und Nichte angesehen habe. Sie enthielten aber kein zeitliches Moment, das Rückschlüsse auf eine Erbeinsetzung für ein Versterben auch bei zeitlich erheblichem Abstand zulasse. Ein solches könne auch nicht in der fast zehnjährigen Zeitspanne zwischen Testamentsergänzung und ursprünglicher Testamentserrichtung gesehen werden. Der Auffassung des OLG Hamm (ZEV 2011, 427), wonach es im Rahmen der sog. Andeutungstheorie ausreichen solle, wenn sich die Auslegungsnotwendigkeit und die generelle Willensrichtung aus dem Wortlaut herleiten lasse, folge der Senat nicht.

Rz. 12

2. Das hält rechtlicher Überprüfung stand.

Rz. 13

Rechtsfehlerfrei hat das Beschwerdegericht festgestellt, dass die Beteiligten zu 2) bis 5) in der Testamentsergänzung vom 7.3.2012 nicht generell als Schlusserben eingesetzt worden sind.

Rz. 14

a) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist das Beschwerdegericht zutreffend davon ausgegangen, dass der wirkliche Wille des Erblassers, der als Ergebnis der Testamentsauslegung zu ermitteln ist, in der letztwilligen Verfügung angedeutet sein muss, um formwirksam erklärt zu sein.

Rz. 15

aa) Bei der Testamentsauslegung ist vor allem der wirkliche Wille des Erblassers zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften (vgl. BGH, Beschl. v. 10.12.2014 - IV ZR 31/14, ZEV 2015, 343 Rz. 16; BGH, Urt. v. 24.6.2009 - IV ZR 202/07, FamRZ 2009, 1486 Rz. 25). Dieser Aufgabe kann der Richter nur dann voll gerecht werden, wenn er sich nicht auf eine Analyse des Wortlauts beschränkt (BGH vom 24.6.2009, a.a.O.; v. 27.2.1985 - IVa ZR 136/83, BGHZ 94, 36 unter II 1 [juris Rz. 11]; v. 8.12.1982 - IVa ZR 94/81, BGHZ 86, 41 unter II 1 [juris Rz. 16]). Der Wortsinn der benutzten Ausdrücke muss gewissermaßen "hinterfragt" werden, wenn dem wirklichen Willen des Erblassers Rechnung getragen werden soll (BGH vom 24.6.2009, a.a.O.; v. 28.1.1987 - IVa ZR 191/85, FamRZ 1987, 475 unter 5 [juris Rz. 17]). Dafür muss der Richter auch alle ihm aus dem Inbegriff der mündlichen Verhandlung zugänglichen Umstände außerhalb der Testamentsurkunde heranziehen (vgl. BGH, Urt. v. 16.7.1997 - IV ZR 356/96, ZEV 1997, 376 unter 3 [juris Rz. 12]; v. 7.10.1992 - IV ZR 160/91, NJW 1993, 256 unter 2 [juris Rz. 10]).

Rz. 16

bb) Der Erblasserwille geht jedoch nur dann jeder anderen Interpretation, die der Wortlaut zulassen würde, vor, falls er formgerecht erklärt ist (vgl. BGH, Urt. v. 24.6.2009 - IV ZR 202/07, FamRZ 2009, 1486 Rz. 25; v. 7.10.1992 - IV ZR 160/91, NJW 1993, 256 unter 2 [juris Rz. 11]). Die Vorschriften über die Formen, in denen Verfügungen von Todes wegen getroffen werden können, dienen insb. dem Zweck, den wirklichen Willen des Erblassers zur Geltung kommen zu lassen, nach Möglichkeit die Selbständigkeit dieses Willens zu verbürgen und die Echtheit seiner Erklärungen sicherzustellen. Die vorgeschriebenen Formen sollen mit dazu beitragen, verantwortliches Testieren zu fördern und Streitigkeiten über den Inhalt letztwilliger Verfügungen hintanzuhalten (vgl. BGH, Beschl. v. 9.4.1981 - IVa ZB 6/80, BGHZ 80, 246 unter III [juris Rz. 17]).

Rz. 17

Wenn der (mögliche) Wille des Erblassers in dem Testament auch nicht andeutungsweise oder versteckt zum Ausdruck gekommen ist, ist der unterstellte, aber nicht formgerecht erklärte Wille des Erblassers daher unbeachtlich (vgl. BGH, Beschl. v. 9.4.1981 - IVa ZB 6/80, BGHZ 80, 246 unter III [juris Rz. 13]). Eine Erbeinsetzung, die in dem Testament nicht enthalten und nicht einmal angedeutet ist, kann den aufgeführten Formzwecken nicht gerecht werden. Sie ermangelt der gesetzlich vorgeschriebenen Form und ist daher gem. § 125 Satz 1 BGB nichtig (BGH, Beschl. v. 9.4.1981 - IVa ZB 4/80, BGHZ 80, 242 unter III [juris Rz. 16]). Ausgehend von dem allgemeinen für die Auslegung letztwilliger Verfügungen geltenden Grundsatz, dass nur dem Willen Geltung verschafft werden kann, der im Testament zum Ausdruck gelangt, dort also eine, wenn auch noch so geringe, Grundlage findet, muss daher im Hinblick auf eine in Frage stehende Anordnung des Erblassers verlangt werden, dass für sie wenigstens gewisse Anhaltspunkte in der letztwilligen Verfügung enthalten sind, die im Zusammenhang mit den sonstigen heranzuziehenden Umständen außerhalb des Testaments den entsprechenden Willen des Erblassers erkennen lassen (vgl. BGH, Urt. v. 24.10.1979 - IV ZR 31/78, NJW 1980, 1276 unter I 4 [juris Rz. 27]).

Rz. 18

Ein bestimmter Erblasserwille ist nicht bereits dadurch im Testament angedeutet, dass dessen Wortlaut überhaupt auslegungsbedürftig ist und sich die generelle Willensrichtung aus dem Wortlaut herleiten lässt (a.A. OLG Hamm ZEV 2011, 427, 428 [juris Rz. 18]). Die Auslegungsbedürftigkeit eines Begriffes zeigt nicht, wie dieser Begriff nach dem Willen des Erblassers auszulegen sein soll.

Rz. 19

b) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde konnte das Beschwerdegericht bei seiner Auslegung den von den Beteiligten zu 2) bis 5) behaupteten Erblasserwillen, sie generell als Schlusserben einzusetzen, als wahr unterstellen, statt zunächst im Wege der Beweisaufnahme zu ermitteln, ob ein entsprechender Wille der Erblasserin und ihres Ehegatten zur Zeit der Testamentserrichtung bestand. Wenn der Tatrichter bei Wahrunterstellung von Parteivortrag zu den für die Auslegung maßgeblichen Umständen zu dem Ergebnis kommt, dass ein entsprechender Erblasserwille im Testament nicht zum Ausdruck komme, bedarf es keiner Aufklärung des unterstellten Vortrages (vgl. BGH, Urt. v. 28.1.1987 - IVa ZR 191/85, FamRZ 1987, 475 unter I 6 [juris Rz. 22]). Die vom Senat für richtig gehaltene Prüfungsreihenfolge (vgl. BGH, Urt. v. 27.2.1985 - IVa ZR 136/83, BGHZ 94, 36 unter II 1 [juris Rz. 10]; v. 8.12.1982 - IVa ZR 94/81, BGHZ 86, 41 unter II 1 [juris Rz. 18]) steht dem nicht entgegen (BGH, Urt. v. 28.1.1987 - IVa ZR 191/85, FamRZ 1987, 475 unter I 6 [juris Rz. 22]). Auch für das vom Amtsermittlungsgrundsatz (§ 26 FamFG) beherrschte Erbscheinsverfahren entspricht es der Rechtsprechung des Senats, dass der Tatrichter einen bestimmten Willen des Erblassers unterstellt, aber mangels formgerechter Erklärung dieses Willens für unbeachtlich erklärt (vgl. BGH, Beschl. v. 9.4.1981 - IVa ZB 4/80, BGHZ 80, 242 unter III [juris Rz. 13]).

Rz. 20

c) Ohne Erfolg macht die Rechtsbeschwerde schließlich geltend, die Testamentsurkunde müsse dahingehend ausgelegt werden, dass darin eine generelle Schlusserbeneinsetzung der Beteiligten zu 2) bis 5) angeordnet worden sei.

Rz. 21

aa) Die Aufgabe der Testamentsauslegung ist grundsätzlich dem Tatrichter vorbehalten. Seine Auslegung kann aber mit der Rechtsbeschwerde angegriffen werden, wenn sie gegen gesetzliche Auslegungsregeln, allgemeine Denk- und Erfahrungsgrundsätze oder Verfahrensvorschriften verstößt (vgl. BGH, Beschl. v. 12.7.2017 - IV ZB 15/16, FamRZ 2017, 1716 Rz. 12 m.w.N.; st.Rspr.).

Rz. 22

bb) Nach diesem Prüfungsmaßstab ist die Auslegung des Beschwerdegerichts nicht zu beanstanden, dass auch bei Unterstellung eines Erblasserwillens, die Beteiligten zu 2) bis 5) generell als Schlusserben einzusetzen, der Testamentsurkunde keine Andeutung dieses Willens entnommen werden kann.

Rz. 23

Die Bestimmungen des Testaments ergeben weder einzeln noch in ihrem Zusammenhang einen entsprechenden Anhaltspunkt. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde musste das Beschwerdegericht der Bezeichnung der Beteiligten zu 2) bis 5) als "unsere" Neffen und Nichte keine Andeutung einer generellen Schlusserbeneinsetzung entnehmen. Aus dem darin auch nach Ansicht des Beschwerdegerichts zum Ausdruck kommenden Näheverhältnis lässt sich nicht ableiten, unter welchen Bedingungen der nahestehenden Person etwas zugewendet werden soll. Die Bezeichnung deutet daher nicht an, dass entgegen dem Wortsinn von "für den Fall eines gleichzeitigen Ablebens" eine generelle Schlusserbeneinsetzung angeordnet wird. Ein besonderes Näheverhältnis deutet nichts dazu an, unter welchen Bedingungen der nahestehenden Person etwas zugewendet werden soll.

Rz. 24

Soweit die Rechtsbeschwerde darüber hinaus geltend macht, dass Umstände wie das Fehlen einer generellen Schlusserbeneinsetzung oder die zehnjährige Zeitspanne zwischen der gegenseitigen Erbeinsetzung der Eheleute und der Testamentsergänzung nach allgemeiner Lebenserfahrung allein den Schluss zuließen, dass die Erblasserin und ihr Ehemann die Beteiligten zu 2) bis 5) generell als Schlusserben hätten einsetzen wollen, vermag dies dem Rechtsmittel nicht zum Erfolg zu verhelfen, da das Beschwerdegericht einen entsprechenden Erblasserwillen bereits unterstellt hat. Es hat lediglich die genannten Umstände in rechtlich nicht zu beanstandender Weise als nicht ausreichend im Sinne eines im Testament angedeuteten Erblasserwillens erachtet.

 

Fundstellen

Haufe-Index 13228887

NJW 2019, 2317

FamRZ 2019, 1462

FGPrax 2019, 180

MittBayNot 2020, 265

ZAP 2019, 724

ZEV 2019, 477

DNotZ 2019, 944

ErbBstg 2019, 216

JA 2019, 946

JZ 2019, 577

JuS 2019, 1024

MDR 2019, 1137

MDR 2019, 6

Rpfleger 2019, 593

ErbR 2019, 642

ErbStB 2020, 11

FamRB 2019, 355

NotBZ 2019, 419

RÜ 2019, 699

ZErb 2019, 240

ZNotP 2020, 84

EE 2019, 164

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