E. E. ist litauischer Staatsangehöriger. Seine Mutter, die ebenfalls die litauische Staatsangehörigkeit besaß, hatte den deutschen Staatsangehörigen K.-D. E. geheiratet und zog mit E. E. zu ihm nach Deutschland. Am 4.7.2013 errichtete sie vor einer Notarin in Garliava (Litauen) ein Testament, in dem sie ihren Sohn als Alleinerben einsetzte.

Beim Tod der Mutter von E. E., der sich in Deutschland ereignete, war eine Immobilie, nämlich eine Wohnung in Kaunas (Litauen), auf die Erblasserin eingetragen. Am 17.7.2017 wandte sich E. E. an eine Notarin in Kaunas und beantragte die Eröffnung des Nachlassverfahrens und die Ausstellung eines Nachlasszeugnisses.

Am 1.8.2017 lehnte die Notarin die Ausstellung des Nachlasszeugnisses mit der Begründung ab, dass der gewöhnliche Aufenthalt der Erblasserin im Sinne von Art. 4 der Verordnung Nr. 650/2012 als in Deutschland belegen anzusehen sei.

E. E. erhob gegen diese Ablehnung Klage vor dem Kauno apylinkės teismas (Bezirksgericht Kaunas, Litauen). Mit Entscheidung vom 29.1.2018 gab dieses Gericht der Klage mit der Begründung statt, dass die Erblasserin ihre Verbindungen nach Litauen nicht abgebrochen habe.

Die Notarin focht diese Entscheidung beim Kauno apygardos teismas (Regionalgericht Kaunas, Litauen) an. Im Rahmen dieses Verfahrens beantragte E. E., eine Erklärung von K.-D. E. zu den Akten zu nehmen, in der dieser angegeben habe, dass er keinen Anspruch auf den Nachlass der Erblasserin geltend mache, und der Zuständigkeit der litauischen Gerichte zugestimmt habe, da in Deutschland kein Nachlassverfahren eröffnet worden sei.

Mit Entscheidung vom 26.4.2018 hob dieses Gericht die angefochtene Entscheidung auf und wies den Antrag von E. E. zurück, der beim Lietuvos Aukščiausiasis Teismas (Oberster Gerichtshof Litauens) Kassationsbeschwerde einlegte.

Unter diesen Umständen hat der Lietuvos Aukščiausiasis Teismas (Oberster Gerichtshof Litauens) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Ist eine Situation wie im vorliegenden Fall – in der (1) eine litauische Staatsangehörige, deren gewöhnlicher Aufenthaltsort an ihrem Todestag möglicherweise in einem anderen Mitgliedstaat lag, die jedoch auf jeden Fall nie ihre Verbindung zu ihrem Heimatland abgebrochen hatte, u. a. vor ihrem Tod ein Testament in Litauen errichtet und ihre gesamten Vermögensgegenstände ihrem Erben, einem litauischen Staatsangehörigen, hinterlassen hatte, (2) im Zeitpunkt der Eröffnung der Erbschaft festgestellt wurde, dass ihr gesamter Nachlass aus ausschließlich in Litauen belegenem unbeweglichem Vermögen bestand, und (3) ein Angehöriger dieses anderen Mitgliedstaats, der überlebende Ehegatte, in klaren Worten seine Absicht erklärt hat, auf alle Ansprüche auf den Nachlass der Erblasserin zu verzichten, nicht am Gerichtsverfahren in Litauen teilgenommen hat und der Zuständigkeit der litauischen Gerichte und der Anwendung litauischen Rechts zugestimmt hat – als Erbfall mit grenzüberschreitendem Bezug im Sinne der Verordnung Nr. 650/2012 anzusehen, auf den diese Verordnung anzuwenden ist?

2. (…)

3. (…)

4. (…)

5. Sind Art. 4 oder andere Vorschriften der Verordnung Nr. 650/2012 dahin auszulegen, dass sich der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers nur in einem einzigen Mitgliedstaat befinden kann?

6. (…)

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten und zur fünften Frage

Mit seiner ersten und seiner fünften Frage, die zusammen zu’prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die’Verordnung Nr. 650/2012 dahin auszulegen ist, dass ein "Erbfall mit grenzüberschreitendem Bezug" vorliegt, wenn der Erblasser die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats hatte und im Zeitpunkt seines Todes seinen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat hatte, aber seine Verbindung zu dem erstgenannten Mitgliedstaat nicht abgebrochen hatte, und ob in diesem Fall der letzte gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers im Sinne dieser Verordnung in einem einzigen Mitgliedstaat liegen muss.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Verordnung Nr. 650/2012 auf der Grundlage von Art. 81 Abs. 2 AEUV erlassen wurde, der nur Zivilsachen mit grenzüberschreitendem Bezug betrifft.

Das Ziel dieser Verordnung besteht ihren Erwägungsgründen 1 und 7 zufolge u. a. darin, die Hindernisse für den freien Verkehr von Personen, denen die Durchsetzung ihrer Rechte im Zusammenhang mit einem Erbfall mit grenzüberschreitendem Bezug Schwierigkeiten bereitet, auszuräumen, um das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts zu erleichtern. Die Verordnung zielt ausweislich ihres 67. Erwägungsgrundes auf eine zügige, unkomplizierte und effiziente Abwicklung einer Erbsache mit grenzüberschreitendem Bezug ab.

Um festzustellen, ob eine Erbsache einen grenzüberschreitenden Bezug hat und daher in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 650/2012 fällt, ist – wie der Generalanwalt in Nr. 34 seiner Schlussanträge ausgeführt hat – erstens der Mitgliedstaat des gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers im Zeitpunkt seines Todes zu ...

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