Eine planwidrige Lücke in der letztwilligen Verfügung liegt vor, wenn für eine Situation oder einen Umstand eine Regelung fehlt, die der Erblasser bei Kenntnis der Sachlage geregelt hätte, aber irrtümlich und unbewusst nicht geregelt hat. Die ergänzende Testamentsauslegung dient also der Ermittlung des hypothetischen Erblasserwillens. Eine vom Erblasser gewollte Unvollständigkeit, etwa eine Teilregelung statt einer abschließenden Erbregelung, kann nicht zu einer ergänzenden Testamentsauslegung führen. Die Auslegung muss daher beim Gesamtbild der letztwilligen Verfügung ansetzen und sich fragen, ob die getroffenen Verfügungen angesichts der damit verfolgten Ziele lückenhaft sind.
Die ergänzende Testamentsauslegung kommt daher insbesondere bei Entwicklungen zwischen Testamentserrichtung und Erbfall in Betracht, etwa weil der eingesetzte Erbe vorverstirbt, ein weiterer Abkömmling nach Testamentserrichtung hinzukommt oder der vermachte Gegenstand ersatzlos wegfällt. Auch eine vom Erblasser nicht vorhergesehene positive Entwicklung in der Lebensführung des Bedachten kann zu einer nachträglichen Lücke in der letztwilligen Verfügung führen. Neben Veränderungen nach Testamentserrichtung kommen aber auch ursprüngliche Lücken im Testament in Betracht, etwa wenn der Erblasser vom Tod des Bedachten oder Wegfall eines Vermögensgegenstands zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung nichts wusste oder rechtlich fehlerhafte Schlussfolgerungen zieht. Hat der Erblasser den maßgeblichen Umstand aber gekannt und gleichwohl eine Regelung bewusst oder unbewusst unterlassen, bleibt für eine ergänzende Testamentsauslegung mangels planwidriger Lücke kein Raum. Ist die letztwillige Verfügung des Erblassers nach dessen Ableben, etwa bei Nacherbfolge, noch nicht vollständig wirksam geworden, können auch Ereignisse nach dem Erbfall noch die Möglichkeit einer ergänzenden Testamentsauslegung eröffnen.
Die ergänzende Testamentsauslegung setzt stets voraus, dass der Erblasser den für die Lücke ursächlichen Sachverhalt bei der Testamentserrichtung nicht gekannt und auch nicht vorhergesehen hat. Sind dem Erblasser die Tatsachen zu einem späteren Zeitpunkt nach der Testamentserrichtung bekannt geworden, schließt dies eine ergänzende Testamentsauslegung nicht aus, etwa wenn der Erblasser glaubt, er sei wegen der Bindungswirkung des § 2271 Abs. 2 BGB zu einer Abänderung nicht befugt. Die spätere Kenntnis des die Lücke begründenden Sachverhalts kann aber bei der Auslegung im Übrigen Rückschlüsse auf die ursprüngliche Willensrichtung zulassen, wenn der Erblasser seine letztwillige Verfügung trotz Kenntnis nicht abändert.