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Der zweiteilige Aufsatz nähert sich dem Hinzuziehungsrecht, das im Pflichtteilsrecht von zunehmender praktischer Bedeutung ist. Während die Rechtsprechung und Teile der Literatur sich bisher der Frage des Hinzuziehungsrechts i.S.d. § 2314 BGB "negativ" genähert und aufgezeigt haben, welche Form der Beteiligung des pflichtteilsberechtigten Nichterben zur Erfüllung des Hinzuziehungsrechts nicht ausreichend ist, will der nachstehende Aufsatz eine positive Annäherung versuchen, die beschreibt, was der Inhalt und der Umfang des Anspruchs auf Hinzuziehung für den pflichtteilsberechtigen Nichterben ausmacht, und wo seine Grenzen sind. Damit eine verständliche Einordnung des Zuziehungsrechts erfolgen kann, werden im 1. Teil zunächst der Inhalt des Auskunftsanspruchs gem. § 2314 Abs. 1 S. 1, 3 BGB (Ziffer II) und die durch § 2314 BGB entstehenden Rechtsbeziehungen (Ziffer III) dargestellt, um sodann im 2. Teil das Zuziehungsrecht gem. § 2314 Abs. 1 S. 2 BGB herauszuarbeiten (Ziffer IV). Der Aufsatz schließt im 2. Teil nach dem Ergebnis (Ziffer V) mit einer Praxisempfehlung zum Umgang mit dem Zuziehungsrecht (Ziffer VI) ab.
I. Einleitung
Der Gesetzgeber eröffnet dem pflichtteilsberechtigten Nichterben in § 2314 Abs. 1 S. 2 BGB das Recht "bei der Aufnahme des ihm nach § 260 BGB vorzulegenden Verzeichnisses der Nachlassgegenstände zugezogen" zu werden. Das Recht auf Hinzuziehung findet sich auch u.a. beim Verzeichnis des Testamentsvollstreckers (§ 2215 Abs. 3 BGB), beim Verzeichnis des Vorerben (§ 2121 Abs. 2 BGB) sowie außerhalb des Erbrechts etwa beim Verzeichnis im Zugewinnausgleich (§ 1379 Abs. 1 S. 2 BGB). Es ist aber bis heute unklar, was der pflichtteilsberechtigte Nichterbe verlangen kann, wenn er gem. § 2314 Abs. 1 S. 2 BGB verlangt, bei der Aufnahme des ihm nach § 260 BGB vorzulegenden Nachlassverzeichnisses hinzugezogen zu werden. Dies ist nicht trivial, da die Verletzung des Hinzuziehungsrechts dazu führen kann, dass die Aufnahme des (notariellen) Nachlassverzeichnisses zu wiederholen ist; der Auskunftsanspruch ist folglich nicht erfüllt. Es wird deshalb in diesem zweiteiligen Aufsatz der Frage nach dem Inhalt und der positiven Ausgestaltung des Rechts auf Hinzuziehung gem. § 2314 Abs. 1 S. 2 BGB nachgegangen.
II. Inhalt des Auskunftsanspruchs gem. § 2314 Abs. 1 BGB
Dem pflichtteilsberechtigten Nichterben gewähren die §§ 2303 ff. BGB eine Mindestteilhabe am Nachlass des Verstorbenen. Diese Mindestteilhabe ist als schuldrechtlicher Anspruch auf eine wirtschaftliche Beteiligung am Nachlasswert gerichtet. Ein Noterbrecht, das zu einer unmittelbaren dinglichen Beteiligung des pflichtteilsberechtigten Nichterben führt, ist dem deutschen Erbrecht fremd. Zur Geltendmachung seines Pflichtteilsanspruchs ist der pflichtteilsberechtigte Nichterbe auf die Kenntnis des Umfangs des Nachlasses angewiesen. Da er nicht unmittelbar am Nachlass beteiligt ist und sich der pflichtteilsberechtigte Nichterbe die notwendigen Informationen nicht unmittelbar selbst beschaffen kann, räumt ihm § 2314 Abs. 1 S. 1 BGB einen Auskunftsanspruch ein, der durch den Wertermittlungsanspruch (§ 2314 Abs. 1 S. 2 BGB) ergänzt wird. Die Auskunft wird durch Vorlage eines Nachlassverzeichnisses erfüllt.
1. Vorlage eines inhaltlich formell ordnungsgemäßen und schriftlich verkörperten Nachlassverzeichnisses
Zur Erfüllung des Auskunftsanspruchs gem. § 2314 Abs. 1 BGB bedarf es durch den Erben der Vorlage eines schriftlich verkörperten Bestandsverzeichnisses i.S.d. § 260 Abs. 1 BGB, das den tatsächlichen und bei entsprechendem Verlangen auch den fiktiven Nachlass vollständig und richtig wiedergibt. Der Erbe ist verpflichtet, alle Informationen mitzuteilen, die den Pflichtteilsberechtigen in die Lage versetzen, eine eigene Bewertung der Nachlassgegenstände vorzunehmen bzw. eine Entscheidung dahingehend treffen zu können, ob er eine Wertermittlung gem. § 2314 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB verlangen sollte. Der pflichtteilsberechtigte Nichterbe soll in die Lage versetzt werden, seinen Pflichtteils- und ggf. Pflichtteilsergänzungsanspruch auf der Grundlage des Nachlassverzeichnisses zu beziffern und durchzusetzen.
Das Verzeichnis nach § 260 BGB ist vom Erben privatschriftlich (§ 2314 Abs. 1 S. 1 BGB) und auf Verlagen des Pflichtteilsberechtigten in notarieller Form (§ 2314 Abs. 1 S. 3 BGB) zu erteilen. Das privatschriftliche und das notarielle Nachlassverzeichnis sind wesensgleich und hinsichtlich ihrer Erfüllungstauglichkeit nach identischen Maßstäben zu beurteilen. Die Anforderungen an den formell ordnungsgemäßen Inhalt und Umfang der Auskunft sind in beiden Formen identisch. Die in der Rechtsprechung herausgearbeiteten Anforderungen an das notarielle Nachlassverzeichnis gelten daher genauso für das privatschriftliche Nachlassverzeichnis. Gleichwohl soll das notarielle Nachlassverzeichnis eine höhere Gewähr der Vollständigkeit und Richtigkeit bieten.
Auch das notarielle Nachlassverzeichnis stellt ausschließlich die Auskunft des Erben zur Erfüllung seiner Verpflichtungen aus § 2314 BGB dar. Der Erbe ist der Auftraggeber des Notars. Der pflichtteilsberechtigte Nichterbe hat ne...