Der zur Entscheidung des OLG München publizierte – nicht amtliche – Leitsatz hat zunächst im Schrifttum Verbreitung gefunden und nunmehr auch Eingang in eine Entscheidung des OLG Nürnberg. Das OLG Nürnberg sprach durch Beschluss vom 8.6.2011 eine Volljährigenadoption aus, für die möglicherweise auch steuerliche Motive maßgeblich waren. Der erkennende Senat hat in seinem Beschluss die Entscheidung des OLG München v. 19.12.2008 ausdrücklich in Bezug genommen, obwohl dieser ein völlig anderer Sachverhalt zugrunde lag.
In der Sache sollte die Anzunehmende durch ein Ehepaar adoptiert werden. Das OLG Nürnberg gelangte zu der Überzeugung, dass zwischen den Beteiligten bereits ein Eltern-Kind-Verhältnis zustande gekommen ist, und führte aus: "Die Annahme der […] ist nach § 1768 Abs. 1 BGB auszusprechen, denn ein Eltern-Kind-Verhältnis, das die Annahme nach § 1767 Abs. 1, 2. Halbsatz BGB sittlich rechtfertigt, ist bereits entstanden." Sodann machte das Gericht Ausführungen zu den Anforderungen, die an das Bestehen eines Eltern-Kind-Verhältnisses zu stellen sind. Weiter führte das OLG Nürnberg – unter Berufung auf die vorstehende Entscheidung des OLG München – aus: "Das familienbezogene Motiv muss als Hauptzweck der Annahme die sonstigen Nebenzwecke, wie etwa die Erlangung steuerlicher Vorteile bei der Rechtsnachfolge, deutlich überwiegen." Sodann setzte sich das OLG Nürnberg eingehend und ausführlich mit den Motiven der Beteiligten auseinander. Im Ergebnis gelangte es zu der Überzeugung, dass steuerliche Motive nur Nebenmotiv der Beteiligten sind. Den amtlichen Leitsatz seiner Entscheidung fasste das OLG Nürnberg schließlich wie folgt: "Das Eltern-Kind-Verhältnis unter Erwachsenen nach § 1767 Abs. 1 BGB wird wesentlich durch eine auf Dauer angelegte Bereitschaft zum gegenseitigen Beistand geprägt, den sich leibliche Eltern und Kinder üblicherweise gegenseitig leisten. Das familienbezogene Motiv muss als Hauptzweck der Annahme die sonstigen Nebenzwecke, wie etwa die Erlangung steuerlicher Vorteile bei der Rechtsnachfolge, deutlich überwiegen."
Nachdem die Adoption ausgesprochen wurde, ist das Ergebnis der Entscheidung des OLG Nürnberg zwar richtig, der amtliche Leitsatz hingegen keinesfalls. Denn: Ein Eltern-Kind-Verhältnis war zur Überzeugung des Gerichts bereits entstanden. § 1767 Abs. 1 Halbsatz 2 BGB indizierte in dem zu entscheidenden Fall mithin die sittliche Rechtfertigung der Adoption. Wie gesehen kann es dann auf den mit der Adoption verfolgten Einzelzweck überhaupt nicht mehr ankommen. Ob steuerliche Motive nun Haupt- oder lediglich Nebenzweck der Adoption sind ist gleichgültig. Selbst wenn in dem vom OLG Nürnberg zu entscheidenden Fall steuerliche Motive der Beteiligten den entscheidenden Anlass zur Adoption gegeben hätten, hätte diese deshalb nicht abgelehnt werden dürfen. Der amtliche Leitsatz der Entscheidung – die ja von einem bereits entstandenen Eltern-Kind-Verhältnis ausgeht – widerspricht dem Wortlaut des § 1767 BGB, seiner Entstehungsgeschichte und dem Willen des Gesetzgebers.
Vergegenwärtigt man sich diese Tatsache, wird die Gefahr, dass aufgrund der unzutreffend angewendeten "Nebenmotivlehre" Adoptionen möglicherweise zu Unrecht abgelehnt werden, recht greifbar. Die für die vertretene "Nebenmotivlehre" vom OLG Nürnberg zitierte Entscheidung des OLG München ist zu einem anderen Sachverhalt ergangen und war hier gerade nicht übertragbar.