Endlich Klarheit – und noch dazu zugunsten der Steuerpflichtigen.
Entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung (R E 10.8 Abs. 3 ErbStR 2011) hat der BFH mit seinem Urteil vom 4.7.2012 die Ausrichtung der Erbschaft- und Schenkungsteuer an der zivilrechtlichen Rechtslage in den Vordergrund gestellt. Demzufolge sind Einkommensteuerschulden des Todesjahres als Nachlassverbindlichkeiten abzugsfähig. Zu Recht weist er darauf hin, dass das in § 1922 Abs. 1 BGB geregelte Prinzip der Gesamtrechtsnachfolge allgemein, über den Bereich des Zivilrechts hinaus und namentlich auch im Steuerecht maßgeblich ist. Auch § 45 Abs. 1 S. 1 AO, der einen Übergang sämtlicher Forderungen und Schulden aus dem Steuerschuldverhältnis auf den Rechtsnachfolger, insbesondere also auf den Erben als Gesamtrechtsnachfolger, statuiert, untermauert diese Sichtweise. Daher ist es nur folgerichtig, als abzugsfähige Nachlassverbindlichkeiten iSv § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG nicht nur die bereits (iSv § 36 Abs. 1 EStG) entstandenen Einkommensteuerverbindlichkeiten zum Abzug zuzulassen, sondern vielmehr auch die (künftigen) Steuerschulden, die aber auf einer im Todeszeitpunkt bereits abgeschlossenen Tatbestandsverwirklichung durch den Erblasser beruhen, auch wenn sie erst mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Erbfall liegt, zur Entstehung gelangen. Denn das in § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG geregelte Tatbestandsmerkmal des "Herrührens" der Verbindlichkeiten vom Erblasser setzt gerade nicht voraus, dass die Verbindlichkeiten bereits ("voll wirksam") entstanden sind. Vielmehr genügt es, dass der Erblasser zu seinen Lebzeiten diejenigen (alle) Bedingungen gesetzt hat, die – zu welchem Zeitpunkt auch immer – die Entstehung der rechtlich und wirtschaftlich wirksam werdenden Verpflichtung zur Folge haben. Aus diesem Grund ist in der Entscheidung auch kein Verstoß gegen das Stichtagsprinzip (§§ 9 und 11 ErbStG) zu sehen. Denn der eigentlich relevante Tatbestand, nämlich das "Herrühren" der später entstehenden Steuerschuld vom Erblasser, ist am Stichtag bereits vollumfänglich erfüllt.
Diese Logik gilt spiegelbildlich selbstverständlich auch für etwa für das Todesjahr festzusetzende Steuererstattungsansprüche. Allerdings unterliegen diese gem. § 10 Abs. 1 S. 3 ErbStG einer die grundsätzliche Systematik der Gesamtrechtsnachfolge durchbrechenden ausdrücklichen gesetzlichen Regelung, der zufolge nur solche Steuererstattungsansprüche des Erblassers bei der Ermittlung des steuerpflichtigen Erwerbes zu berücksichtigen sind, die im Todeszeitpunkt bereits rechtlich entstanden sind (§ 37 Abs. 2 AO). Aus Sicht der Steuerpflichtigen also eine ideale Situation: Steuererstattungsansprüche sind bei der Erbschaftsteuer nur anzusetzen, wenn sie im Todeszeitpunkt schon rechtlich entstanden sind, für Nachzahlungsverpflichtungen hingegen genügt deren wirtschaftliche Entstehung. Da ist es durchaus zu verschmerzen, dass für den Abzug einer Steuerschuld – über den Wortlaut von § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG hinaus – zusätzlich zum "Herrühren" vom Erblasser nach wie vor auch das Bestehen einer tatsächlichen wirtschaftlichen Belastung (des Erben) gefordert wird (vgl. hierzu BFH, Urteil vom 2.3.2011 – II. R 5/09, BFH/NV 2011, 1147). R E 10.8 Abs. 3 ErbStR 2011 ist jedenfalls überholt.
Dr. Christopher Riedel, LL.M., Rechtsanwalt, Steuerberater, Fachanwalt für Steuerrecht, Essen