Leitsatz
Verzichtet ein künftiger gesetzlicher Miterbe gegenüber einem weiteren künftigen Miterben auf seinen künftigen Pflichtteilsanspruch, ist die hierfür erhaltene Abfindung nach Maßgabe der zwischen den Miterben bestehenden Steuerklasse zu besteuern. Hat der verzichtende künftige gesetzliche Miterbe vonseiten des künftigen Erblassers Vorerwerbe erhalten, sind diese nicht zu berücksichtigen.
BFH, Urteil vom 10. Mai 2017 – II R 25/15
Sachverhalt
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) verzichtete durch notariell beurkundeten Erbschaftsvertrag vom 14.2.2006 gegenüber seinen drei Brüdern für den Fall, dass er durch letztwillige Verfügung von der Erbfolge seiner Mutter (M) ausgeschlossen sein sollte, auf die Geltendmachung seines Pflichtteilsanspruchs einschließlich etwaiger Pflichtteilsergänzungsansprüche gegen eine von den Brüdern jeweils zu zahlende Abfindung in Höhe von 150.000 EUR.
Nachdem der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 16.5.2013 – II R 21/11 (BFHE 241, 390, BStBl II 2013, 922) entschieden hatte, dass die Zahlung der Abfindungen an den Kläger nicht als Schenkung der M an diesen, sondern als drei freigebige Zuwendungen der Brüder an den Kläger getrennt zu besteuern sind, setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) für die Zuwendung eines Bruders (K) mit Bescheid vom 19.2.2014 gegen den Kläger Schenkungsteuer in Höhe von 28.405 EUR fest. Dabei berücksichtigte das FA die Abfindung abzüglich anteiliger Kosten der Schenkung in Höhe von 520 EUR. Dem Erwerb rechnete es Vorerwerbe (Schenkungen) von M aus dem Jahr 2002 in Höhe von 1.056.232 EUR hinzu. Hinsichtlich des Freibetrags (205.000 EUR gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in der im Jahr 2006 geltenden Fassung – ErbStG –) und des Steuersatzes (19 % nach § 19 Abs. 1 ErbStG) ging das FA von der im Verhältnis des Klägers zu M geltenden Steuerklasse I Nr. 2 (§ 15 Abs. 1 ErbStG) aus. Für die Vorschenkungen zog es einen Steuerbetrag von 161.728 EUR ab.
Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) setzte die Schenkungsteuer auf 10.810 EUR herab. Vorerwerbe nach M rechnete es nicht hinzu. Entsprechend dem Antrag des Klägers berücksichtigte es einen Freibetrag iSd § 16 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG in Höhe von 51.200 EUR. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2015, 1108 veröffentlicht.
Mit seiner Revision rügt das FA eine Verletzung der §§ 14, 15 und 16 ErbStG. (...)
Aus den Gründen
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Änderung des Schenkungsteuerbescheids vom 19.2.2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28.8.2014 dahingehend, dass die Schenkungsteuer auf 23.647 EUR festgesetzt wird (§ 126 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 FGO). Das FG hat zwar zutreffend angenommen, dass die Vorerwerbe von M bei der Berechnung der Steuer nicht zu berücksichtigen sind. Entgegen der Auffassung des FG ist aber die im Verhältnis des Klägers zu K gemäß § 15 Abs. 1 ErbStG geltende Steuerklasse II maßgebend.
1. Gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG gilt als Schenkung unter Lebenden jede freigebige Zuwendung unter Lebenden, soweit der Bedachte durch sie auf Kosten des Zuwendenden bereichert wird. Eine freigebige Zuwendung setzt in objektiver Hinsicht voraus, dass die Leistung zu einer Bereicherung des Bedachten auf Kosten des Zuwendenden führt und die Zuwendung objektiv unentgeltlich ist, und in subjektiver Hinsicht den Willen des Zuwendenden zur Freigebigkeit (BFH, Urt. v. 29.6.2016 – II R 41/14, BFHE 254, 64, BStBl II 2016, 865, Rn 9).
a) Schließen künftige gesetzliche Erben einen Vertrag gemäß § 311b Abs. 5 BGB (früher § 312 Abs. 2 BGB), wonach der eine auf seine künftigen Pflichtteils(ergänzungs)ansprüche gegen Zahlung eines Geldbetrags verzichtet, stellt die Zahlung eine freigebige Zuwendung des Zahlenden iSd § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG dar. Da die Abfindung in einem solchen Fall aus dem Vermögen des künftigen gesetzlichen Erben geleistet wird, liegt eine freigebige Zuwendung von diesem und nicht eine freigebige Zuwendung des künftigen Erblassers an den Empfänger der Abfindung vor (vgl. BFH, Urt. in BFHE 241, 390, BStBl II 2013, 922 Rn 10 f).
b) Im Hinblick auf die anzuwendende Steuerklasse führte der BFH in seiner bisherigen Rechtsprechung aus, diese richte sich nicht nach dem Verhältnis des Zuwendungsempfängers (Verzichtenden) zum Zahlenden, sondern zum künftigen Erblasser (BFH, Urt. v. 25.5.1977 – II R 136/73, BFHE 122, 543, BStBl II 1977, 733; v. 25.1.2001 – II R 22/98, BFHE 194, 440, BStBl II 2001, 456, und in BFHE 241, 390, BStBl II 2013, 922). Der Verzicht auf Pflichtteils(ergänzungs)ansprüche gegenüber einem anderen gesetzlichen Erben sollte hinsichtlich der Steuerklasse vor Eintritt des Erbfalls nicht anders behandelt werden als nach Eintritt des Erbfalls, bei dem der Verzicht auf die noch nicht geltend gemachten Pflichtteilsansprüche gegen Abfindung gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG nach der Steuerklasse zu bestimmen ist, die im Verhältnis zum Erblasser gilt (vgl. BFH, Urt. in BFHE 194, 440, BStBl II 2001, 456, unter...