Gelingt es dem Testamentsvollstrecker nicht, sich in dieser zentralen Frage Klarheit zu verschaffen, eröffnet ihm das Gesetz womöglich doch noch einen Weg, an den Nachlass ohne (Haftungs)Risiken herangehen zu können: Sofern es sich bei der Vorgabe des Erblassers um eine Anordnung im Sinne von § 2216 Abs. 2 S. 1 BGB handelt, kann und muss er versuchen, mit einem Antrag gemäß § 2216 Abs. 2 S. 2 BGB die Anordnung des Erblassers vom Nachlassgericht außer Kraft setzen zu lassen, "wenn ihre Befolgung den Nachlass erheblich gefährden würde."[8] Die Prüfung dieser Frage[9] und ggf. die Antragstellung gehören zum Pflichtenprogramm des Testamentsvollstreckers als Teil der ordnungsgemäßen Nachlassverwaltung.[10] § 2220 BGB ist eindeutig: der Erblasser kann den Testamentsvollstrecker von dieser Pflicht nicht befreien.

Die herrschende Meinung geht davon aus, dass das Gericht, sofern es dem Antrag des Testamentsvollstreckers nach § 2216 Abs. 2 S. 2 BGB folgt, eine besondere Verwaltungsanordnung des Erblassers "nur" ganz oder teilweise (bei Abtrennbarkeit selbstständiger Teile) aufheben, nicht aber eine eigene ersetzende Anordnung treffen kann.[11] Die herrschende Meinung scheint auf den ersten Blick klar und in der Praxis auch umsetzbar und ausreichend zu sein, denn wenn die Anordnung gemäß § 2216 Abs. 2 S. 2 BGB (teil-)aufgehoben und die Nachlassgefährdung beseitigt ist, kann der Testamentsvollstrecker den Nachlass gemäß § 2216 Abs. 1 BGB (wieder) sachgerecht verwalten.[12]

Die nachfolgenden Ausführungen werden daher versuchen, den Blick zu schärfen und selbigen auf die Praxis nicht zu verlieren, bei dem Bemühen zu zeigen, dass die herrschende Meinung Wortsinn, Entstehungsgeschichte, Gesetzeszweck und –systematik des § 2216 BGB nicht bzw. zu wenig beachtet, die heutigen hohen Anforderungen an die Nachlassverwaltung außer Acht lässt, und im Übrigen bei einem zentralen Gesichtspunkt unklar und methodisch zweifelhaft ist – und hiermit wollen wir fortfahren.

[8] Der Hinweis von Steiner (Groll, Praxishandbuch Erbrechtsberatung C.IX. Rn 108), ggf. zu versuchen, eine Anordnung für den Testamentsvollstrecker als bloßen und rechtlich unverbindlichen Wunsch zu interpretieren, um sich ihr entziehen zu können, ist zwar in der Sache zutreffend und rechtlich möglich, aber in der Praxis heikel angesichts der fehlenden "Auslegungshoheit" und des Haftungsproblems des Testamentsvollstreckers, s.o.
[9] Auch in notariellen Urkunden ist es nicht selbstverständlich, dass bei den Verwaltungsvorgaben für den Testamentsvollstrecker deren rechtliche Qualität festgelegt wird, die sein kann: rechtlich unverbindlicher Wunsch, Anordnung im Sinne von § 2216 Abs. 2 S. 2 BGB oder gar dingliche wirkende Kompetenz- und Verfügungsbeschränkung des Testamentsvollstreckers gemäß § 2208 Absatz 1 BGB; vgl. dazu exemplarisch J. Mayer in: Mayer/Bonefeld, Testamentsvollstreckung, 4. Aufl., § 9 Rn 120-122. Wir werden darauf i.E. zurückkommen.
[10] BayObLG Beschl. v. 30.9.1999 (1Z BR 142/98 Rn 55 der Gründe), u. a. in FamRZ 2000, 573; RPfleger 2000, 17; NJW-RR 2000, 298; ZEV 1999, 485; Palandt/Weidlich, 2017, § 2216 Rn 5 a.E.; MüKo/Zimmermann, 2017, § 2216 Rn 22; ders., Testamentsvollstreckung, 3. Aufl. 2008, Rn 398, 391; Schaub in: Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung, 5. Aufl. 2013, Kap. 4 Rn 42 Seite 153. Angesichts dessen darf sich der Testamentsvollstrecker nicht auf Äußerungen in der Literatur verlassen, ein Unterlassen der Antragstellung sei nur "ausnahmsweise" (aus welchen Gründen auch immer) schuldhaft/pflichtwidrig und haftungsrelevant; Staudinger/Reimann, BGB, 2016, § 2216 Rn 49 trotz Hinweises auf den Beschluss des BayObLG; FAKomm-ErbR/Rott/Bund, 3. Aufl. 2011, § 2216 BGB Rn 28; Damrau/Tanck/Bonefeld, Praxiskommentar Erbrecht, § 2216 BGB Rn 19; Heckschen in: Burandt/Rojahn ErbR, 2014, § 2216 Rn 29 auch unter Berufung auf den Verf. (versehentlich "Schmidt" genannt) in ZErb 2010, 251, 253 ff. Den Schluss der bloß ausnahmsweisen Haftung des Testamentsvollstreckers hat der Verf. dort nicht gezogen und will dies hiermit klarstellen bzw. ggf. insoweit korrigieren.
[11] Palandt/Weidlich, 2017, § 2216 Rn 5,6; Heckschen in: Burandt/Rojahn ErbR, 2014, § 2216 BGB Rn 26; MüKo/Zimmermann, 2017, § 2216 Rn 19; Damrau/Tanck/Bonefeld, Praxiskommentar Erbrecht, § 2216 BGB Rn 19; ders. in: Bonefeld/Wachter, Der Fachanwalt für Erbrecht, § 17 Rn 373. Kroiß/Ann/Mayer/Kroiß, BGB, ErbR, § 2216 BGB Rn 26; Erman/M. Schmidt, BGB, 12. Aufl. 2008, § 2216 Rn 7; Winkler, Der Testamentsvollstrecker, 21. Aufl 2013, Rn 675; FAKomm-ErbR/Rott/Bund, 3. Aufl. 2011, § 2216 BGB Rn 33; Hausmann/Hohloch/Löhnig, Handbuch des Erbrechts, 2008, Kap. 19 Rn 77 Seite 1384. Staudinger/Reimann, 2016, § 2216 Rn 46 (wenn auch unklar, dazu sogleich); Schaub in: Bengel/Reimann, BGB, Handbuch der Testamentsvollstreckung, 5. Aufl. 2013, Kap. 4 Rn 44 Seite 154; Steiner in: Groll, Praxishandbuch Erbrechtsberatung C.IX. Rn 110a. Holtz, Gestaltung einer Testamentsvollstreckung vor und nach dem Tod des E...

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