Gerne argumentieren die Notare mit einem "weiten Ermessen", das ihnen "bei Ausgestaltung, Umfang und Reichweite der Ermittlungen" im Zusammenhang mit dem notariellen Nachlassverzeichnis zustehe.
Zuzugeben ist, dass auch der Gesetzgeber von einem (allerdings nicht weiten) Ermessen des Notars bei der Verfahrensausgestaltung ausgegangen ist, dies, weil gesetzliche Verfahrensregelungen und Regelungen zur Niederlegung des Ergebnisses in einer Urkunde fehlen. Bindende Anweisungen hinsichtlich seiner Amtstätigkeit können dem Notar nur im Wege der Beschwerde nach § 15 Abs. 2 S. 1 BNotO erteilt werden.
Dessen ungeachtet suggeriert die gerade von Anwälten und Notaren gerne benutzte Begrifflichkeit des "weiten (also "freien"?) Ermessens" (was wohl etwas anderes sein soll als "pflichtgemäßes Ermessen") Handlungsspielräume, die tatsächlich nicht bestehen.
Kein Ermessen gibt es hinsichtlich der Frage, ob der Notar tätig wird; er kann seine Amtstätigkeit nicht nach Belieben verweigern (§ 15 Abs. 1 S. 1 BNotO).
Bei seiner Tätigkeit hat er sich in dem Rahmen zu bewegen, den, soweit bereits vorhanden, der Auskunftstitel vorgibt, auch wenn der Titel naturgemäß nur gegenüber dem Erben ergangen ist. Ist beispielsweise ein Anspruch auf Belegvorlage anerkannt und tenoriert worden, kommt es auf die Frage, ob grundsätzlich ein Anspruch auf Vorlage von Belegen, insbesondere von Kontoauszügen, besteht, nicht an.
Auch bei der zeitlichen Gestaltung ist der Notar nicht völlig frei. Vom Erben erwartet der Pflichtteilsberechtigte zu Recht eine zeitnahe Beauftragung eines Notars. Der Erbe seinerseits darf erwarten, dass der Notar zeitnah tätig wird. Der Notar hat insbesondere das ihm Mögliche und Zumutbare zu tun, um die Festsetzung eines Zwangsgeldes gegen den Erben nach § 888 ZPO zu verhindern. Wird der Notar nicht in angemessener Zeit tätig, führt seine Untätigkeit zu einer mit der Beschwerde nach § 15 Abs. 2 S. 1 BNotO angreifbaren Verweigerung. Der angemessene Anfertigungszeitraum wird sich kaum allgemein bestimmen lassen, weil wiederum alles vom konkreten Einzelfall abhängt; als Richtschnur kann ein Zeitraum von drei bis vier Monate dienen.
Dass, wie womöglich nicht selten, der Erbe nicht oder wenig kooperationsbereit ist, gibt dem Notar keine Freiheiten und auch nicht ohne weiteres die Möglichkeit, den Auftrag nicht weiterzuführen. Der Notar muss den Erben nicht nur über dessen Pflichten und die möglichen Folgen verweigerter Kooperation belehren. Er muss vom Erben Informationen einfordern und ihn dazu anhalten, ihm vollständige und wahrheitsgemäße Auskünfte zu erteilen und die zur Überprüfung erforderlichen Unterlagen vorzulegen. Er muss den Erben auch darauf hinweisen, welche eigenen Aufklärungsmöglichkeiten er hat und wie er diese nutzen kann. Mit der Feststellung ungenügender Kooperation ist die Angelegenheit für den Notar nicht erledigt; er muss insbesondere prüfen, welche eigenen Nachforschungen er vornehmen kann, wobei letztlich immer alles auf den konkreten Einzelfall ankommt. Dies gilt beispielsweise für die Frage, ob bzw. – besser – unter welchen Voraussetzungen der Notar zur Durchsicht von Kontounterlagen verpflichtet sein kann; eine Notwendigkeit, sich insoweit für ein "ja" oder "nein" zu entscheiden, besteht nicht.
Die an den Notar zu stellenden Anforderungen werden sich in der Regel nur durch persönlichen Kontakt mit dem Erben erfüllen lassen. Für die Annahme eines "weiten Ermessens" ist jedenfalls auch insoweit kein Raum.
Und schließlich gelten die oben genannten weitreichenden Anforderungen an den Notar, die die These vom "weiten Ermessen" nicht stützen. Das gilt insbesondere für die Vorgabe, dass der Notar diejenigen Nachforschungen anzustellen hat, die ein objektiver Dritter in der Lage des Gläubigers für erforderlich halten würde, womit den individuellen Vorstellungen des Notars als Maßstab eine klare Absage erteilt ist.