Streitig ist die Höhe eines erbschaftsteuerlichen Freibetrags.
Die Klägerin ist die Stief-Urenkelin der am 28.6.2020 verstorbenen Erblasserin. Die Erblasserin war mit dem Urgroßvater der Klägerin verheiratet. Dieser hatte eine Tochter aus einer früheren Ehe, welche bereits 2016 verstarb. Die Tochter wiederum hatte einen Sohn, welcher 2018 verstarb. Der verstorbene Sohn war der Vater der Klägerin.
Die Klägerin wurde aufgrund eines Testaments der Erblasserin zu einem Drittel Miterbin. Sie reichte beim Beklagten eine Erbschaftsteuererklärung ein und wurde mit Bescheid vom 16.11.2020 zur Erbschaftsteuer veranlagt. Dieser Bescheid erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gem. § 164 Abgabenordnung (AO). Bei der Berechnung der Erbschaftsteuer berücksichtigte der Beklagte einen Freibetrag gem. § 16 Abs. 1 Nr. 4 Erbschaftsteuergesetz (ErbStG) i.H.v. 100.000 EUR.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Einspruch ein. Sie machte einen höheren Freibetrag über 200.000 EUR nach § 16 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG geltend, da sowohl ihr Vater als auch ihre Großmutter bereits verstorben seien. Der Freibetrag für Kinder verstorbener Kinder gelte auch für Urenkel.
Am 18.5.2021 erließ der Beklagte einen geänderten Erbschaftsteuerbescheid. Er berücksichtigte darin Einkommensteuerschulden der Erblasserin und einen inzwischen festgestellten Grundbesitzwert.
Den Einspruch wies der Beklagte mit Bescheid vom 1.11.2021 als unbegründet zurück. Mit diesem Bescheid hob er auch den Vorbehalt der Nachprüfung auf. Das Erbschaftsteuergesetz unterscheide zwischen den Begriffen Kindern und Abkömmlingen. Kinder seien jeweils nur die nächste Generation, Abkömmlinge sämtliche nachfolgenden Generationen. § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG gelte nur für Kinder und Kinder verstorbener Kinder. Urenkel zählten dazu nicht. Der unterschiedliche Freibetrag für Enkel sei mit dem Erbschaftsteuerreformgesetz (ErbStRG) eingeführt worden. Der Gesetzesbegründung in BT-Drucks 16/7918, 37 sei zu entnehmen, dass der Freibetrag nach § 16 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG nur für Enkel gelten solle. Urenkel habe der Gesetzgeber den übrigen Erwerbern der Steuerklasse I zugeordnet. Es bestehe auch keine zu einer anderweitigen Auslegung führende Regelungslücke des Gesetzgebers, denn er habe für den Fall eines vorverstorbenen Kindes in § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG eine gesonderte Regelung getroffen. Daher sei ihm klar gewesen, dass auch Urenkel Nachfolger bereits verstorbener Generationen sein könnten.
Mit der vorliegenden Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren auf Berücksichtigung eines Freibetrags nach § 16 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG weiter.
Der BFH habe sich in einem Beschl. v. 27.7.2020 – II B 39/20, BFHE 270, 376, BStBl II 2021, 28 mit einer Schenkung einer Urgroßmutter an ihre Urenkelin befasst. In dieser Entscheidung habe der BFH offengelassen, ob aus der Behandlung der Urenkel im Fall vorverstorbener Eltern und Großeltern die Möglichkeit zu Inanspruchnahme des Freibetrags i.H.v. 400.000 EUR nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG folge. Der BFH habe darauf verwiesen, dass wegen der verfassungsrechtlichen Garantie des Erbrechts aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG auf den Erhalt des Familienvermögens bei der Besteuerung Rücksicht zu nehmen sei.
Sinn und Zweck von § 16 Abs. 1 ErbStG sei, das verfassungsrechtlich geschützte Familienvermögen erbschaftsteuerrechtlich zu begünstigen. Dies spreche dafür, auch Urenkeln einen Freibetrag i.H.v. 400.000 EUR zu gewähren, wenn die Kinder und Enkel bereits vorverstorben seien. Nur so würden die Freibeträge auf jeder tatsächlich vorhandenen Stufe reduziert. Sei eine Generation vorverstorben, rücke die nächste Generation auf. Dieses in § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG geregelte Prinzip sei über den Wortlaut hinaus auf Urenkel sinngemäß anzuwenden. Dies sei aus verfassungsrechtlichen Erwägungen zwingend geboten. Da das System der Halbierung des Freibetrags auf jeder Stufe ohnehin durchbrochen werde, seien auch die Urenkel zu begünstigen. Für diese Sichtweise spreche zudem, dass die Steuerklassen auf das persönliche Verhältnis abstellten. Es sei besonders naheliegend, dass zwischen Urgroßeltern und Urenkeln gerade dann ein enges persönliches Verhältnis bestünde, wenn nach dem Tod der Eltern und Enkel sonst niemand verbleibe.
Die von dem Beklagten in Bezug genommene Gesetzesbegründung gebe für die hier streitentscheidende Frage nichts her, da sie sich auf § 16 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG beziehe, der sich mit dem Erbfall noch lebender Abkömmlinge befasse. Die tragende Begründung des BFH, die Freibeträge würden sich im Fall von § 16 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG multiplizieren, wenn man sie auf die Urenkelgeneration ausweitete, greife nicht, wenn die Kinder und Enkel – wie hier – überhaupt keinen Freibetrag in Anspruch genommen hätten.
Die Klägerin beantragt,
den Erbschaftsteuerbescheid vom 16.11.2020 und den Einspruchsbescheid vom 1.11.2021 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er wiederholt seine Ausführungen aus der Einspruchsentscheidung.
Es sei verfassungsrechtlich nicht zwingend geboten, den Freibetrag ...