Leitsatz
1. Auch wenn der Rechtsnachfolger bereits zweifelsfrei feststeht, kann der Prozessbevollmächtigte einen Aussetzungsantrag nach § 246 Abs. 1 Hs. 2 ZPO stellen, um so Gelegenheit zu haben, klare Weisungen des Erben zur Weiterführung des Prozesses einzuholen.
2. Nur wenn die Aussetzung prozessual sinnlos ist, kann ein Aussetzungsantrag rechtsmissbräuchlich sein.
BFH, Beschl. v. 10.3.2023 – X B 123/21
1 Tatbestand
I.
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist der Rechtsnachfolger seiner verstorbenen Eltern. Diese wurden in den Streitjahren 2004 bis 2010 zunächst zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Streitig ist, ob und in welcher Höhe die Mutter des Klägers (M) in diesen Jahren gewerbliche Einkünfte aus dem Betrieb einer Gaststätte erzielt hat.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (Finanzamt -FA-) prüfte ab 2010 die steuerlichen Verhältnisse der M und erweiterte – nach einer Nachkalkulation und der Überprüfung der Kassenführung der zumindest auf ihren Namen betriebenen Gaststätte – ein bestehendes Steuerstrafverfahren wegen nicht erklärter Renteneinkünfte um ein solches wegen nicht erklärter Betriebseinnahmen in den Streitjahren 2004 bis 2010. Nach Abschluss der Außenprüfung im Jahr 2012 erließ das FA (erneut) Einkommensteueränderungsbescheide für die Streitjahre 2004 bis 2009 sowie, da die M insoweit keine Einkünfte aus dem Betrieb des Restaurants erklärte, erstmals einen Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 2010. Bereits am 5.4.2011 hatte das FA den Verlustfeststellungsbescheid für das Streitjahr 2008 aufgehoben.
Die gegen sämtliche Bescheide gerichteten Einsprüche der M und ihres Ehemanns, des Vaters des Klägers (V), hatten keinen Erfolg. M und V erhoben daraufhin am 2.5.2014 Klage. Zu ihrer Begründung trugen sie vor, die M sei eine Strohfrau gewesen. Die gewerblichen Einkünfte seien ihrem Sohn, dem Kläger, zuzurechnen, da ausschließlich er der faktische Inhaber der Gaststätte gewesen sei. M habe dem Kläger lediglich ermöglichen wollen, nach dessen Gewerbeuntersagung weiterhin die Gaststätte betreiben zu können. Sämtliche Leitungsbefugnisse hätten beim Kläger gelegen. M sei auch nicht als Mitunternehmerin anzusehen. Darüber hinaus seien die Schätzungen realitätsfremd und höchst willkürlich gewesen.
Nach Beantragung der Einzelveranlagung ergingen für die Streitjahre 2005 bis 2007 entsprechend geänderte Einkommensteuerbescheide; das Verfahren des V wurde insoweit abgetrennt.
Mit Beschl. v. 2.11.2017 – 5 K 1205/14 hat das FG das Klageverfahren bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Grundlagen für die Einkommensbesteuerung für die Streitjahre 2004 bis 2010 ausgesetzt. Das FA hat das Bestehen einer Mitunternehmerschaft zwischen M und dem Kläger abgelehnt. Einspruch und Klage hiergegen blieben erfolglos. Mit Urt. v. 25.9.2018 – 12 K 1551/18 hat das FG die Klage gegen diese negativen Feststellungsbescheide als unzulässig verworfen.
M verstarb am 9.9.2018 und wurde von V und dem Kläger zu je ½ beerbt. Die Erbengemeinschaft wurde nicht auseinandergesetzt.
Am 29.4.2020 hat die damalige Prozessbevollmächtigte von M und V, die GmbH (P1), ihr Mandat den Kläger betreffend niedergelegt und – ebenso wie der weitere Prozessbevollmächtigte der M, Herr Rechtsanwalt U (P2) – erklärt, den Aufenthaltsort des Klägers nicht zu kennen. P2 erklärte darüber hinaus, den Kläger wegen eines Interessenkonflikts als Rechtsanwalt weder unmittelbar noch als Mitglied der Erbengemeinschaft vertreten zu können. Gleichzeitig haben beide Prozessbevollmächtigte im Hinblick auf den Tod der M die Aussetzung des Klageverfahrens nach § 246 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 155 S. 1 FGO beantragt.
Das FG hat im Urt. v. 12.5.2020 – 5 K 1205/14 die Aussetzung des Verfahrens wegen des Todes der M abgelehnt. Die Klage des Klägers hat es als unzulässig verworfen, da dessen tatsächlicher Wohnort auch ihm trotz Ermittlungen nicht bekannt sei. Ansonsten hatte die Klage teilweise Erfolg. Das FG hat zwar die Gewinne aus dem Betrieb der Gaststätte der M zugerechnet, die Besteuerungsgrundlagen jedoch reduziert.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde (X B 47/20) begehrte V die Zulassung der Revision wegen Verfahrensmängeln. Das FG hätte das Klageverfahren gem. § 246 Abs. 1 Hs. 2 ZPO i.V.m. § 155 S. 1 FGO aussetzen müssen. Das FA tritt der Beschwerde entgegen. Der Aussetzungsantrag im Klageverfahren sei rechtsmissbräuchlich gewesen.
Nach dem Tod des V im Jahr 2021 wurde das Beschwerdeverfahren durch Beschluss des angerufenen Senats vom 16.6.2021 – X B 47/20 gem. § 246 ZPO i.V.m. § 155 S. 1 FGO ausgesetzt und – nachdem bekannt wurde, dass der Kläger der Erbe auch des V ist – unter dem Aktenzeichen X B 123/21 fortgesetzt. Der Prozessvertreter des Klägers hat seine Vertretung des Klägers nachgewiesen und sich im Übrigen auf die Ausführungen im Schriftsatz des P2 vom 27.6.2020 (gemeint ist wohl der Schriftsatz vom 27.8.2020) berufen, mit welchen die Nichtzulassungsbeschwerde des V (X B 47/20) begründet worden war.
2 Gründe
II.
Über die Nichtzulassungsbes...