Unter Berücksichtigung des Vorstehenden ist das Zuziehungsrecht gem. § 2314 Abs. 1 S. 2 BGB nach hier vertretener Ansicht inhaltlich dahingehend zu verstehen, dass es eine Involvierung des pflichtteilsberechtigten Nichterben dergestalt ermöglicht, dass er durch Hinweise zum Nachlass und Anregungen zur Nachlassermittlung Einfluss auf die Ermittlung des Nachlasses mittels Denkanstöße nehmen kann. Indem diesen Hinweisen und Anregungen des Pflichtteilsberechtigten durch den Erben und/oder Notar Gehör geschenkt wird und die Ermittlungen – sofern diese i.S.e. objektiven Dritten zweckmäßig sind – die Hinweise und Anmerkungen berücksichtigen, ist der inhaltliche Gehalt des Verzeichnisses für den Pflichtteilsberechtigten höher, da seine konkret aufgeworfenen Problemstellungen in die Ermittlung des Nachlasses Einzug finden. Dadurch kann der Pflichtteilsberechtigte wesentlich besser abschätzen, ob das Nachlassverzeichnis inhaltlich ordnungsgemäß ist oder der Weg zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung des Erben zu beschreiten ist, als wenn er lediglich körperlich am Ende des Prozesses anwesend sein darf.
In praktischer Hinsicht ist auch nur die hier vertretene Ansicht zweckmäßig, denn für alle Beteiligten hat ein Abwarten der Einbeziehung des Pflichtteilsberechtigten bis zum Zeitpunkt der abschließenden Errichtung des Nachlassverzeichnisses lediglich zur Folge, dass im Fall der Kundgabe berechtigter Zweifel am Inhalt des Verzeichnisses durch den Pflichtteilsberechtigten ggf. weitere Ermittlungen aufgenommen werden müssen, was bloß zu Verzögerungen der gesamten Angelegenheit führt. Das kann nicht im Sinne des Gesetzgebers gewesen sein.
Indem es nach herrschender Meinung für den Pflichtteilsberechtigten kein Recht zur (aktiven) Mitwirkung am Nachlassverzeichnis insbesondere in einem Anwesenheitstermin beim Notar gibt, ist eine bloße Anwesenheit ohnehin für keinen der Beteiligten zweckmäßig. Denn insbesondere dient ein solcher Anwesenheitstermin nicht dazu, den Sachverhalt und die Rechtslage des konkreten Erbfalls mit dem Pflichtteilsberechtigten anhand der erfolgten Ermittlungstätigkeiten zu erörtern. Insofern muss auch auf die einzelnen Ansprüche des § 2314 BGB sowie die einzelnen Rechtsbeziehungen im Pflichtteilsrecht verwiesen werden. Viele der oft im Zusammenhang mit Nachlassverzeichnissen entstehenden Streitpunkte sind i.d.R. entweder formellen Fehlern bei der Errichtung des Nachlassverzeichnisses geschuldet, weil insbesondere keine ordnungsgemäße Ermittlung des Nachlasses erfolgt, oder materieller Natur und daher im Leistungsanspruch zu diskutieren. Letzteres ist nicht Bestandteil des Nachlassverzeichnisses und mithin auch nicht des Zuziehungsrechts. Ersteres kann hingegen durch das Zuziehungsrecht i.S.e. Involvierung des Pflichtteilsberechtigten in den Ermittlungsprozess nahezu gänzlich abgefangen werden. Allerdings entsteht dadurch kein Weisungsrecht des Pflichtteilsberechtigten; dessen Hinweise und Anregungen müssen zudem immer dem Standpunkt eines objektiven Dritten genügen und dürfen ganz besonders nicht schikanös sein.
In diesem Kontext ist auch der Zweck des Pflichtteilsrechts zu beachten. Beim Pflichtteilsrecht handelt es sich um die Sicherung der bedarfsunabhängigen und nahezu unentziehbaren Mindestteilhabe am Nachlass des Erblassers. Diese Mindestbeteiligung ist durch die Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich gewährleistet (zumindest für Abkömmlinge). Diese Mindestteilhabe ist im BGB derart ausgestaltet worden, dass der enterbte Pflichtteilsberechtigte außerhalb des Nachlasses bzw. der Erbenstellung steht und keine Teilhabe am Nachlass (bspw. i.S.e. Noterbrechts) hat, sondern einen Geldanspruch gegen die Erben erhält. Der Pflichtteilsberechtigte hat folglich keine direkten Einsichtsmöglichkeiten in den Nachlass. Um dem Pflichtteilsberechtigten die Durchsetzung seines Pflichtteilsanspruchs zu ermöglichen, hat der Gesetzgeber dem Pflichtteilsberechtigten in § 2314 BGB mit dem Auskunfts-, Wertermittlungs- und Zuziehungsrecht mehrere Hilfsansprüche zur Seite gestellt. Um die verfassungsrechtliche Mindestteilhabe aber nicht zu einer bloßen Worthülse in Bezug auf das Zuziehungsrecht verkommen zu lassen, muss das Zuziehungsrecht mehr sein als ein bloß passives Anwesenheitsrecht. Andererseits handelt es sich beim Pflichtteil bloß um die Mindestteilhabe am Nachlass, deren Ausgestaltung dem Gesetzgeber obliegt, sodass das Zuziehungsrecht auch nicht überschießend dahingehend verstanden werden darf, dass es zu einer gar nicht vorgesehenen Einsicht in den Nachlass insbesondere durch vollumfängliche Belegeinsicht führt, die über die Auskunftserteilung durch Vorlage eines Bestandsverzeichnisses hinausgeht.
Der hier aufgezeigte Inhalt des Zuziehungsrechts bringt für alle Beteiligten nur Vorteile. Der pflichtteilsberechtigte Nichterbe kann seine Kenntnisse und/oder Blickrichtungen, die der Erbe nicht hat, von Anfang an einbringen....