Einführung
Als Beratungsansatz im Bereich der Nachfolgeplanung ist sie nicht mehr hinwegzudenken: die vorweggenommene Erbfolge. Was in der Landwirtschaft seit Jahrhunderten praktiziert wird – lebzeitige Übergabe von Hof und Gut an die nächste Generation gegen Versorgung des Erblassers – ist inzwischen auch im Bereich der allgemeinen Vermögens- und Unternehmensnachfolge etabliert. Die Vorzüge des gestaltungsfreundlichen Konzepts sind mannigfaltig: Planungssicherheit, Vermögenskontinuität, Altersversorgung des Übergebers, Steueroptimierung und Pflichtteilsminderung, um nur einige der wichtigsten zu nennen. Doch ist Vorsicht geboten. So griffig die vorweggenommene Erbfolge als Terminologie für ein Gestaltungskonzept, so unbestimmt und auslegungsbedürftig ist sie als rechtserheblicher Begriff. Ein Sensibilisierungsversuch.
I. Problemaufriss
Aus Kindern werden Leute – eine Eigentumswohnung muss her für die jungen, aber eigenkapitalschwachen Eltern; der Unternehmer will die Generationennachfolge einleiten, um den Betrieb vor Liquiditätsengpässen im Erbfall zu schützen; der missliebige Sohn soll nicht nur zugunsten der rechtschaffenen Tochter enterbt werden, sondern auch möglichst keinen Pflichtteil erhalten. Die Reihe der Fallgestaltungen, in denen "die vorweggenommene Erbfolge" eine probate Gestaltung sein kann, ließe sich ohne Schwierigkeiten fortsetzen. Im Übergabevertrag wird das Vermögen dann häufig auch explizit "im Wege der vorweggenommenen Erbfolge" übertragen. Die Wirkungen dieser Abrede sind mit der Vermögensübertragung, die in der Regel zeitnah erfolgt, aber nicht erschöpft: Typischerweise werden derlei Vorgänge Jahre oder Jahrzehnte später – nach dem Tod des Übergebers – nochmals aufgerollt, etwa bei der erbschaftsteuerlichen Berücksichtigung von Vorerwerben (§ 14 ErbStG) oder im Rahmen der Erbauseinandersetzung.
Hinzugetretene Schwiegerkinder, zerbrochene Familien, unterschiedliche Wertentwicklung von übergebenem und verbliebenem Vermögen – die Gründe für Fragen, Irritationen und Begehrlichkeiten nach dem Erbfall sind mannigfaltig. Lange Zeit nach seinem Abschluss wird der Vertrag über die Vorwegnahme der Erbfolge wieder aus der Schublade geholt und von den Beteiligten ausgelegt: Dabei entpuppt sich der womöglich achtlos verwandte Begriff der "vorweggenommenen Erbfolge" geradezu als Chamäleon.
II. Annäherung an die Begrifflichkeit
1. Fragmentarische gesetzliche Regelung
Die vorweggenommene Erbfolge – zuweilen auch mit Übergabe-, Übertragungs- oder Generationennachfolgevertrag umschrieben – ist kein typisiertes Rechtsinstitut bürgerlichen Rechts. In das BGB hat der Begriff erst im Rahmen der Neuregelung des Landpachtrechts Mitte der 1980er Jahre, jedoch ohne weitere gesetzgeberische Präzisierung Einzug gehalten, § 593 a BGB; der Tatbestand wurde schlicht als bestehend vorausgesetzt.
Ob dem Gesetzgeber hierbei die höferechtliche Ausprägung vorschwebte, die bereits vier Dekaden zuvor in der Höfeordnung – freilich bruchstückhaft – kodifiziert worden war, lässt sich auch anhand der Gesetzesmaterialien nicht mehr feststellen; in Anbetracht des Sachzusammenhanges – Agrarrecht – läge dies durchaus nahe. Aber auch ohne diesen Zusammenhang hat die Regelung in den §§ 7, 17 HöfeO als legislativer "Urtyp" eine besondere Strahlkraft für das heute auf alle Wirtschaftszweige ausgedehnte Konzept entfaltet; hierauf wird später nochmals vertieft zurückzukommen sein.
Entsprechend der praktischen Bedeutung der vorweggenommenen Erbfolge gerade bei der Unternehmensnachfolge hat der Gesetzgeber den Terminus dann geraume Zeit auch im Einkommen- und Erbschaftsteuerrecht, etwa im Zusammenhang mit der Begünstigung von Betriebsvermögen, verwandt, allerdings auch hier ohne hinreichende Definition: Im Zusammenhang mit Sonderabschreibungen zur Förderung kleiner und mittlerer Betriebe etwa wurde die Betriebsübernahme in vorweggenommener Erbfolge in § 7 g EStG aF derjenigen "im Wege der Auseinandersetzung einer Erbengemeinschaft unmittelbar nach dem Erbfall" gleichgesetzt. Im Rahmen von § 13 II a und § 13 a I Nr. 2 ErbStG aF wurde die Betriebsvermögensbegünstigung alternativ zum Erbfall zeitweise an den "Erwerb im Wege der vorweggenommenen Erbfolge" geknüpft; später hat der Gesetzgeber den Begriff an dieser Stelle in Anbetracht der engen finanzgerichtlichen Auslegung (gefordert wurde eine "materielle Vergleichbarkeit" mit dem Übergang von Todes wegen, insbesondere ein "endgültiger" Vermögensübergang) allerdings durch "Schenkung unter Lebenden" ersetzt.
Wiewohl der Gesetzgeber damit allerorts das Konzept vorweggenommener Erbfolge anerkannt und vereinzelt auch tatbestandliche Akzente gesetzt hat, ergibt sich bis heute kein klar definierter Tatbestand. Die weitere Konturierung hat der Gesetzgeber vielmehr der Praxis und damit nicht zuletzt der Rechtsprechung überlassen.