Eine ausdrückliche Regel für die Bewertung von Nachlassgegenständen findet sich nur in § 2312 Abs. 1 S. 1 BGB für die Übernahme eines Landguts; hier ist der Ertragswert maßgebend. Sonst kommt es nach § 2311 Abs. 2 BGB auf den Wert an, den ein Gegenstand allgemein in der Hand jedes Erben hat. Das ist grundsätzlich der Verkehrswert, der sich mit dem gemeinen Wert im Sinne des Steuerrechts deckt.
Der Verkehrswert, auch Marktwert genannt, wird in § 194 BauGG und in § 16 Abs. 1 S. 4 PfandBG für Grundstücke und der gemeine Wert in § 9 Abs. 2 BewG für alle Vermögensgegenstände, dort Wirtschaftsgüter genannt, definiert: Verkehrswert gleich gemeiner Wert ist der Preis, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Gegenstandes bei einer Veräußerung zu erzielen wäre. Oder mit den Worten des PfandBG: Der Marktwert ist der geschätzte Betrag, für welchen ein Beleihungsobjekt am Bewertungsstichtag zwischen einem verkaufsbereiten Verkäufer und einem kaufbereiten Erwerber, nach angemessenem Vermarktungszeitraum, in einer Transaktion im gewöhnlichen Geschäftsverkehr verkauft werden könnte, wobei jede Partei mit Sachkenntnis, Umsicht und ohne Zwang handelt.
Bei der Ermittlung des Verkehrswerts kann auf zeitnahe Vergleichspreise zurückgegriffen werden. Andernfalls muss nach den Regeln bewertet werden, die für die einzelnen Bewertungsgegenstände entsprechend ihrer wirtschaftlichen Funktion gelten, zumeist nach einem Ertragswert- oder einem Sachwertverfahren.
Die Einkommensteuer auf einen Veräußerungsgewinn ist für die Schätzung nicht von Bedeutung. Denn sie beeinflusst den fiktiven Veräußerungspreis nicht, sondern wird umgekehrt von ihm beeinflusst. Ein einfaches Beispiel zeigt das:
Der Erblasser kaufte im Dezember 2008 1.000 Aktien einer börsennotierten AG bei einem Kurs von 50 EUR pro Stück. Im Januar 2009 kaufte er weitere 1.000 Aktien zum gleichen Kurs nach. Bei seinem Tod im Jahre 2010 standen die Aktien bei 150 EUR pro Stück.
Der Verkehrswert ist gleich dem Kurswert im Erbfall, denn zu diesem Preis hätte der Erbe die Aktien verkaufen können. Dann hätte er für die Aktien aus 2008 und aus 2009 jeweils Kaufpreise von 150.000 EUR bekommen, sodass er jeweils einen Veräußerungsgewinn von 100.000 EUR erzielt hätte. Den Veräußerungsgewinn für die in 2008 erworbenen Aktien hätte er nicht versteuern müssen, wohl aber den Kursgewinn von 100.000 EUR für die in 2009 nachgekauften Aktien; darauf wäre Einkommensteuer in Gestalt der Abgeltungssteuer von 25 % angefallen, also 25.000 EUR. Somit bestand im Erbfall für die Aktien aus 2008 keine und für die Aktien aus 2009 eine latente Einkommensteuerschuld von 25.000 EUR. Daraus zu folgern, dass die Aktien aus 2008 150.000 EUR wert waren und die Aktien aus 2009 nur 125.000 EUR, wäre offensichtlich falsch.
Bei der Unternehmensbewertung sind persönliche Steuern des oder der Inhaber nur insoweit von Bedeutung, als sie die aus dem Unternehmen fließenden Zahlungsströme belasten, also die ausschüttbaren oder entnahmefähigen Gewinne. Die Einkommensteuer auf einen Veräußerungsgewinn hingegen hat keinen Einfluss auf den Unternehmenswert. Verkäufer und Käufer verfahren beim Verkauf eines Unternehmens oder einer Unternehmensbeteiligung so, dass sie sich auf einen Preis einigen, bei dem der Verkauf zustande kommt. Ceteris paribus ist das der Verkehrswert, und bei ihm bleibt es. Er wird nicht im nächsten Schritt um die Einkommensteuer des Verkäufers auf den Veräußerungsgewinn gemindert, um zum "wahren" Verkehrswert zu gelangen.