Leitsatz
1. Pflichtteilsrecht "schlägt" Vermächtnis (bei der Ermittlung der Höhe des Pflichtteilsanspruchs, wenn testamentarisch angeordnete Vermächtnisse vorliegen).
2. Setzt die Erblasserin – unter Ausschluss ihres Abkömmlings (hier: testamentarisch jeweils hälftige Einsetzung, wobei der Abkömmling die Erbschaft im Hinblick auf den Nachlass "aushöhlende" Vermächtnisanordnungen ausgeschlagen hat) – einen testamentarischen Erben ein, ordnet sie Testamentsvollstreckung an, bestimmt sie im Testament zu Gunsten des testamentarischen Erben ein beschränktes Vorvermächtnis betreffend (den wesentlichen Wert des Nachlasses bildender) Wohnung und Hausrat und räumt sie im Wege des Vermächtnisses darüber hinaus vorrangig zugunsten des Ehegatten des testamentarischen Erben, nachrangig zu Gunsten von dessen Tochter ein lebenslanges Wohnrecht ein, kann sich rechnerisch ein negativer Nachlasswert ergeben, den sich der Abkömmling bei der Ermittlung des Werts seines Pflichtteilsanspruchs aber nicht entgegenhalten lassen muss.
3. Bewilligt der Erbe in Kenntnis der gerichtlichen Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs seinem Ehegatten und seiner Tochter die grundbuchmäßige Eintragung der testamentarisch als Vermächtnisse ausgesetzten lebenslangen Wohnungsrechte, kann er sich gegenüber dem Pflichtteilsberechtigten – zumindest nach Treu und Glauben – nicht darauf berufen, dass die Wohnung weder freihändig veräußerbar noch bankmäßig belastbar sei, so dass ihr bei der Ermittlung des Pflichtteilanspruchs kein Wert (mehr) beizumessen sei.
4.Bewilligt der als Testamentsvollstrecker bestellte Rechtsanwalt, der gleichzeitig Prozessbevollmächtigter des Erben ist, die grundbuchmäßige Eintragung der Wohnungsrechte, liegt in der Person des Rechtsanwalts eine funktionsunabhängige Kenntnis von der erhobenen Klage vor, die sich der Erbe zurechnen lassen muss.
OLG Koblenz, Beschl. v. 3.7.2020, 12 U 107/20
1 Gründe:
Mit ihrer Klage macht die Klägerin Pflichtteilsansprüche gegen die Beklagte geltend. Die Parteien streiten in erster Linie darüber, ob ein in § 7 der testamentarischen Verfügung der Erblasserin zugunsten der Beklagten und deren Ehemann, Herrn M. B., im Wege des Vorvermächtnisses eingeräumtes lebenslanges Wohnungsrecht bei der Berechnung des der Klägerin zu- stehenden Pflichtteils (§§ 2303, 2306 BGB) in Abzug zu bringen ist oder nicht.
Hinsichtlich der weitergehenden Darstellung des Sach- und Streitstandes sowie der erstinstanzlichen Anträge wird auf den Tatbestand in dem angefochtenen Urteil des Landgerichts Koblenz vom 19.12.2019 Bezug genommen.
Durch diese Entscheidung hat das Landgericht die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 162.929,61 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 125.000,00 EUR seit dem 03.10.2018 und aus 37.929,61 EUR seit dem 24.10.2018 zu zahlen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten.
Die Beklagte beantragt, die Klage unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Koblenz vom 19.12.2019 abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Der Senat hat mit Hinweisbeschluss vom 20.5.2020 die Parteien darauf hingewiesen, dass der Berufung allenfalls in Höhe eines Teilbetrages von 4.500 EUR Erfolgsaussichten beizumessen seien und im Falle einer Klagerücknahme in Höhe dieses Teilbetrages ein Vorgehen nach § 522 Abs. 2 ZPO in Betracht komme. Mit Schriftsatz vom 08.06.2020 hat die Klägerin daraufhin die Klage in Höhe des genannten Teilbetrages zurückgenommen. Die teilweise Klagerücknahme ist der Beklagten mit dem Hinweis gemäß § 269 Abs. 2 S. 4 ZPO am 9.6.2020 zugestellt worden, ohne dass diese widersprochen hat.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 19.12.2019, Az. 3 O 400/18, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Zur Begründung wird auf den vorangegangenen Hinweisbeschluss des Senats vom 20.5.2020 Bezug genommen, an welchem der Senat auch nach nochmaliger Beratung der Sache festhält. Die Ausführungen der Beklagten in der Gegenerklärung vom 29.6.2020 geben zu einer Änderung der rechtlichen Beurteilung keinen Anlass.
Auch unter Berücksichtigung dieser weiteren Ausführungen verbleibt der Senat bei seiner Überzeugung, dass das in § 7 der testamentarischen Verfügung der Erblasserin vorrangig zugunsten der Beklagten und deren Ehemann, nachrangig zu Gunsten der Tochter der Beklagten eingeräumte Wohnrecht nicht bei der Berechnung des der Klägerin zustehenden Pflichtteils in Abzug zu bringen ist.
Bei der Ermittlung des Wertes des Nachlasses im Sinne von § 2311 Abs. 1 S. 1 BGB, welcher der Berechnung des Pflichtteils zugrunde gelegt wird, bleiben Ve...