Einführung
Immer häufiger werden Notare gebeten, bei der Errichtung eines Nachlassverzeichnisses "mitzuwirken". Diese Mitwirkungspflicht soll insbesondere auch in der Pflicht zur Inaugenscheinnahme des Nachlasses bestehen. Dabei kommt es nicht selten vor, dass diese Pflicht mit der Pflicht des Notars zur Beschränkung seiner Amtstätigkeit auf seinen Amtssitz (§ 10 ff BNotO) kollidiert, vor allem wenn der Erblasser mehrere Wohnungen hatte. Ob und ggf. wie dieser Konflikt aufgelöst werden kann, soll nachfolgend untersucht werden.
I. Verfahrensrechtliche Anforderungen an das Nachlassverzeichnis
Zunächst soll der Frage nachgegangen werden, auf welcher rechtlichen Grundlage der Notar die Besichtigung des Nachlasses, insbesondere der Erblasserwohnung, vorzunehmen hat. Der folgende Beitrag beschränkt sich vor allem auf den Anspruch auf Erstellung eines Verzeichnisses nach § 2314 Abs. 1 S. 2 BGB und dabei auf die Pflicht zur Besichtigung von Räumen.
1. Grundsätzliches zum Verfahren
Die Aufnahme des Nachlassverzeichnisses ist nach überwiegender Ansicht nicht eine bloße Tatsachenfeststellung nach den §§ 36 f BeurkG, sondern "ein Verfahren eigener Art". Der Notar habe dabei die Aufgabe zur "sachgerechten Gestaltung des Aufnahmeverfahrens". Er habe Auskünfte einzuholen, rechtliche Schlussfolgerungen über den Bestand der Aktiva und Passiva zu ziehen sowie Bewertungen vorzunehmen. Die hM geht davon aus, dass der Notar den Nachlassbestand selbst zu ermitteln habe, z. B. durch Begehung der Erblasserwohnung, Verzeichnung der dort befindlichen Gegenstände, Durchsicht der Unterlagen im Hinblick auf das Vorhandensein von Guthaben und Verbindlichkeiten bzw. Grundbesitz. Auch sollen Anfragen beim Grundbuchamt oder den Banken vor Ort geboten sein. Ermittelt der Notar den Nachlassbestand nicht selbst, liegt nach dieser Ansicht kein vom Notar aufgenommenes Nachlassverzeichnis iSd § 2314 BGB vor. In der notariellen Praxis bereitet die Erstellung des Verzeichnisses einige Schwierigkeiten, weil etwa der Notar nicht selbst "ermittelt" hatte, er sich nicht in die Wohnung des Erblassers begeben hatte oder der Auskunftspflichtige bei Aufnahme des Verzeichnisses nicht "mitgewirkt" hatte. Obwohl durch diese Entscheidungen die formalen Anforderungen an das Nachlassverzeichnis und vor allem die Anforderungen an die Tätigkeit des Notars bei Errichtung dieses Verzeichnisses immer konkreter werden, fehlt es an der dogmatischen Grundlegung für das zu beachtende Verfahren. Dies mag solange hinzunehmen sein, als das Nachlassverzeichnis nach § 36 BeurkG als "sonstige" Beurkundung aufgefasst wird, auf das mehr oder weniger die Vorschriften über die Beurkundung von Willenserklärungen Anwendung findet (§ 37 BeurkG). Die Erkenntnis, dass einerseits "weder für das Verfahren der Inventarerrichtung nach §§ 2002, 2003 noch für sonstige Fälle der Erstellung eines Nachlassverzeichnisses durch den Notar gesetzliche Bestimmungen existieren", ist aber jedenfalls dann nicht befriedigend, wenn andererseits an den Notar ein umfangreicher Pflichtenkanon gestellt wird, dessen Nichtbeachtung fast zwangsläufig zu Amtshaftungsansprüchen führen muss. Die fehlenden Verfahrensvorschriften, aber auch die nicht erkennbare Zielsetzung der amtlichen Aufnahme des Nachlassverzeichnisses mögen ein Grund sein, warum die gestellten Anforderungen an ein "richtiges Verzeichnis" von den Obergerichten immer höher gesetzt werden.
Von den zahlreichen Konkretisierungen der angenommenen "Mitwirkungspflicht" des Notars interessiert in diesem Zusammenhang die Aufgabe des Notars, "die Vermögensmasse zu ermitteln". Diese Ermittlungspflicht wird für verschiedene Bereiche erweitert. Hierzu habe der Notar die Wohnung des Erblassers aufzusuchen und die dort vorhandenen Nachlassgegenstände aufzunehmen. Hierauf soll nachfolgend näher eingegangen werden.