Leitsatz
Die in dem Muster Nr. 5 Abs. 1 AGB-Sparkassen nachgebildete Klausel, dass die Sparkasse nach dem Tode eines Kunden die Vorlegung eines Erbscheins, eines Testamentsvollstreckerzeugnisses oder ähnlicher gerichtlicher Zeugnisse verlangen kann, ist mit Verbrauchern nach § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam. Dies gilt auch dann, wenn die Klausel die Möglichkeit vorsieht, dass hierauf seitens der Sparkasse verzichtet werden kann, wenn ihr eine Ausfertigung oder eine beglaubigte Abschrift vom Testament oder Erbvertrag des Kunden sowie der Niederschrift über die zugehörige Eröffnungsverhandlung vorgelegt wird.
BGH Urteil vom 8. Oktober 2013 – XI ZR 401/12
Sachverhalt
(...) Die beklagte Sparkasse verwendet in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) unter anderem folgende Klausel, in der es auszugsweise heißt:
Zitat
"Nr. 5 Legitimationsurkunden "
(1) Erbnachweise
Nach dem Tode des Kunden kann die Sparkasse zur Klärung der rechtsgeschäftlichen Berechtigung die Vorlegung eines Erbscheins, eines Testamentsvollstreckerzeugnisses oder ähnlicher gerichtlicher Zeugnisse verlangen: ... Die Sparkasse kann auf die Vorlegung eines Erbscheins oder eines Testamentsvollstreckerzeugnisses verzichten, wenn ihr eine Ausfertigung oder eine beglaubigte Abschrift vom Testament oder Erbvertrag des Kunden sowie der Niederschrift über die zugehörige Eröffnungsverhandlung vorgelegt wird.“
Aus den Gründen
(...)
1. Der Kläger hat gegen die Beklagte gemäß §§ 1, 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UKlaG einen Anspruch auf Unterlassung der weiteren Verwendung der angegriffenen Regelungen in Nr. 5 Abs. 1 der AGB.
a) Entgegen der Ansicht der Revision ist das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass die streitigen Bestimmungen nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB der Inhaltskontrolle unterliegen.
aa) § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB beschränkt die Inhaltskontrolle auf solche Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Dabei sind unter Rechtsvorschriften im Sinne von § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB nicht nur Gesetzesvorschriften im materiellen Sinn zu verstehen. Die Norm gestattet vielmehr – insbesondere beim Fehlen dispositivgesetzlicher Normen – eine Inhaltskontrolle auch solcher AGB-Klauseln, die vertragsnatürliche wesentliche Rechte und Pflichten zum Nachteil des Vertragspartners einschränken oder sonst gegen allgemein anerkannte Rechtsgrundsätze verstoßen (vgl. BGH, Urteile vom 21. Dezember 1983 – VIII ZR 195/82, BGHZ 89, 206, 211, vom 6. Februar 1985 – VIII ZR 61/84, BGHZ 93, 358, 362 f und vom 10. Dezember 1992 – I ZR 186/90, BGHZ 121, 13, 18). Hierzu gehören auch alle ungeschriebenen Rechtsgrundsätze, die Regeln des Richterrechts oder die aufgrund ergänzender Auslegung nach §§ 157, 242 BGB und aus der Natur des jeweiligen Schuldverhältnisses zu entnehmenden Rechte und Pflichten (BGH, Urteil vom 10. Dezember 1992 – I ZR 186/90, BGHZ 121, 13, 18).
bb) Ob eine Klausel danach kontrollfähig oder kontrollfrei ist, ist durch Auslegung zu ermitteln (vgl. Senatsurteil vom 13. November 2012 – XI ZR 500/11, BGHZ 195, 298 Rn 15 zur Unterscheidung zwischen Preisabreden und Preisnebenabreden). (...)
(1) Allgemeine Geschäftsbedingungen sind ausgehend von den Verständnismöglichkeiten eines rechtlich nicht vorgebildeten Durchschnittskunden nach dem objektiven Inhalt und typischen Sinn der in Rede stehenden Klausel einheitlich so auszulegen, wie ihr Wortlaut von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der regelmäßig beteiligten Verkehrskreise verstanden wird. Zweifel bei der Auslegung gehen nach § 305 c Abs. 2 BGB zulasten des Verwenders. (...)
(2) Nach diesen Grundsätzen stellen die beanstandeten Regelungen kontrollfähige Abweichungen von Rechtsvorschriften dar.
(a) Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist der Erbe nicht verpflichtet, sein Erbrecht durch einen Erbschein nachzuweisen, sondern kann diesen Nachweis auch in anderer Form führen. Es existiert keine Regelung, die den Nachlassschuldner berechtigt, seine Leistung auch ohne entsprechende vertragliche Vereinbarung grundsätzlich von der Vorlage eines Erbscheins abhängig zu machen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 27. Februar 1961 – II ZR 196/59, WM 1961, 479, 481, vom 10. Dezember 2004 – V ZR 120/04, NJW-RR 2005, 599, 600 und vom 7. Juni 2005 – XI ZR 311/04, WM 2005, 1432, 1433). (...)
(b) Abweichend hiervon kann die Beklagte nach dem Wortlaut von Nr. 5 Abs. 1 Satz 1 der AGB die Vorlage eines Erbscheins zum Nachweis des Erbrechts unabhängig davon verlangen, ob im konkreten Einzelfall das Erbrecht auch auf andere – einfachere und/oder kostengünstigere – Art nachgewiesen werden könnte.
Das der Beklagten in Nr. 5 Abs. 1 Satz 2 der AGB eingeräumte Recht, auf die Vorlegung eines Erbscheins zu verzichten, wenn ihr eine Ausfertigung oder eine beglaubigte Abschrift vom Testament oder Erbvertrag des Kunden sowie der Niederschrift über die zugehörige Eröffnungsverhandlung vorgelegt werden, besteht nach dem Empfängerhorizont ...