Edgar ist verwitwet und hat zwei Kinder, Tina und Max. Testamentarisch verfügt er, dass Max Alleinerbe ist. Weiter schenkt er ihm einen Geldbetrag in Höhe von 200.000,– EUR. Als Edgar 11 Jahre nach der Schenkung verstirbt, umfasst sein saldierter Nachlass 100.000,– EUR. Welche Ansprüche hat Tina?

a) Lösung nach deutschem Recht

Tina steht als pflichtteilsberechtigter Tochter ein ordentlicher Pflichtteilsanspruch in Höhe von 1/4 am saldierten Nachlass – also 25.000,– EUR – zu, § 2303 BGB. Pflichtteilsergänzungsansprüche nach § 2325 ff BGB kann Tina nicht mehr geltend machen, da die Schenkung an ihren alleinerbenden Bruder bereits 11 Jahre zurückliegt und somit außerhalb des 10-Jahres-Zeitraums liegt.

b) Lösung nach österreichischem Recht

Der Zeitraum von 11 Jahren spielt für das österreichische Recht keine Rolle. Es handelt sich bei Max und Tina um pflichtteilsberechtigte Personen. Daher wird die Schenkung an Max unbefristet angerechnet. Es ergibt sich nach fiktivem Hinzuschlagen der Schenkung ein erhöhter Nachlass von 300.000,– EUR. Der Pflichtteilsanspruch von Tina besteht zu 1/4 dieses erhöhten Nachlasses, somit in der Höhe von 75.000,– EUR. Max erhält als Alleinerbe den Reinnachlass von 100.000,– EUR. Tina hat einen Anspruch gegen Max in der Höhe von 75.000,– EUR. Max verbleiben 25.000,– EUR. Sein Pflichtteil ist aber ebenfalls gedeckt, da er sich seine Schenkung auf seinen Pflichtteil anrechnen lassen muss.

Dem deutschen erbrechtlichen Berater ist der Gedanke der "Flucht in die Pflichtteilsergänzung" als Strategie der Pflichtteilsminimierung durchaus bekannt. Der österreichische erbrechtliche Berater könnte angesichts des oben geschilderten Sachverhalts nach eingehender Prüfung aller Konsequenzen durchaus die Überlegung der "Flucht in das deutsche Pflichtteilsergänzungsrecht" in sein Gestaltungsinstrumentarium mitaufnehmen.

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