Leitsatz
Der Anlauf der sechswöchigen Ausschlagungsfrist gem. § 1944 Abs. 1 BGB ist davon abhängig, dass der Erbe sowohl Kenntnis vom Erbfall als auch von dem Berufungsgrund – d. h. gesetzliche oder gewillkürte Erbfolge – hat.
Dem Grunde nach ist bei Eintritt der gesetzlichen Erbfolge davon auszugehen, dass der Erbe Kenntnis vom Berufungsgrund hat, wenn ihm die Familienverhältnisse bekannt sind und für ihn nicht die begründete Vermutung besteht, dass er aufgrund letztwilliger Verfügung enterbt ist. Besteht zwischen dem Erblasser und dem potenziellen Erben bereits seit längerer Zeit kein familiäres Verhältnis mehr, so kann aus Sicht des Erben nicht unwahrscheinlich sein, dass der Erblasser eine enterbende letztwillige Verfügung errichtet hat.
OLG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 20. Juni 2016 – 3 Wx 96/15
Sachverhalt
Herr A, nachfolgend Erblasser genannt, war deutscher Staatsangehöriger und mit der Beteiligten zu 1) im gesetzlichen Güterstand verheiratet. Die Beteiligten zu 2) bis 4) sind die Kinder aus ihrer Ehe und die einzigen Abkömmlinge des Erblassers. Der Erblasser verstarb am 17.8.2014. Der Beteiligte zu 2) ist nachverstorben.
Die Beteiligte zu 1) hat mit notarieller Erklärung vom 13.02.2015 beim Amtsgericht – Nachlassgericht – Meldorf die Erteilung eines Erbscheins beantragt, Die Beteiligte zu 1) hat die Erteilung eines Erbscheins beantragt, wonach der Erblasser von ihr zu 1/2 und von den Beteiligten zu 2) bis 4) zu jeweils 1/6 beerbt worden ist. Darin heißt es u. a., dass der Erblasser keine Verfügung von Todes wegen hinterlassen habe.
Das Amtsgericht informierte mit Schreiben vom 3.3.2015 die Beteiligten zu 2) bis 4) über diesen Antrag durch Übersendung einer Abschrift desselben und gab ihnen Gelegenheit, innerhalb einer Frist von 10 Tagen etwaige Bedenken gegen den Antrag mitzuteilen.
Die Beteiligten zu 3) und 4) erklärten am 11.03.2015 zu Protokoll des Amtsgerichts die Ausschlagung der Erbschaft, die Beteiligte zu 4) auch für ihre beiden minderjährigen Kinder. In dem Protokoll heißt es zuvor:
Zitat
"Von meiner/unserer Berufung habe (n) wir Kenntnis seit Erhalt der gerichtlichen Schreiben vom 3.3.2015 in der Erbschaftssache …. Bis dahin sind wir davon ausgegangen, dass unsere Mutter, B, als Ehefrau des Verstorbenen dessen Alleinerbin geworden ist".
Auf das Protokoll über die Ausschlagungserklärungen der Beteiligten zu 3) und 4) wird verwiesen (Bl 16 dA).
Die Beteiligte zu 1) hat in dem Erbscheinverfahren vorgetragen, die Ausschlagungserklärungen der Beteiligten zu 3) und 4) seien nicht wirksam. Die Frist zu einer Ausschlagung sei bereits abgelaufen gewesen. Sie habe die Beteiligten zu 3) und 4) unmittelbar nach dem Ableben des Erblassers telefonisch über den Eintritt des Erbfalls informiert und dabei darauf hingewiesen, dass eine letztwillige Verfügung des Erblassers nicht bestehe und ggfs. eine Ausschlagung erfolgen müsse, wenn sie, die Beteiligten zu 3) und 4), mit dem Nachlass nichts zu tun haben wollten.
Hintergrund für die letztere Äußerung seien die angespannten familiären Verhältnisse gewesen.
Die Beteiligten zu 3) und 4) haben vorgetragen, die Beteiligte zu 1) habe am Abend des 17.8.2014 (nur) die Beteiligte zu 4) angerufen und zu dieser gesagt: "Ich weiß nicht, ob es dich interessiert, dein Vater ist tod, wenn du willst, kannst du ja deinem Bruder Bescheid sagen". Sie hätten jeweils seit vielen Jahren nur noch sporadischen Kontakt zu ihren Eltern gehabt. Insbesondere das Verhältnis zu ihrer Mutter sei stark belastet gewesen. Ihre Eltern hätten auch kaum Kontakt zu anderen, auch nicht zu anderen Verwandten gehabt. Sie, die Beteiligten zu 3) und 4), seien davon ausgegangen, dass der Erblasser seine Ehefrau, die Beteiligte zu 1), zu seiner Alleinerbin eingesetzt habe.
Mit Beschluss vom 5.8.2015 hat das Amtsgericht den Erbscheinantrag zurückgewiesen. In dem Beschluss heißt es u. a., die Ausschlagungserklärungen der Beteiligten zu 3) und 4) seien wirksam. Der Lauf der Frist zur Ausschlagung habe erst begonnen, als sie das Schreiben des Amtsgerichts vom 3.3.2015 erhalten hätten. Nach dem Vorbringen der Beteiligten zu 3) und 4) in den Schriftsätzen ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 2.6.2015 und 19.6.2015 könne nicht davon ausgegangen werden, dass sie zuvor Kenntnis vom Anfall der Erbschaft und dem Grunde ihrer Berufung gehabt hätten (§ 1944 Abs. 2 BGB).
Gegen diesen Beschluss hat die Beteiligte zu 1) mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 20.8.2015 Beschwerde eingelegt. Sie trägt u. a. vor, die Beteiligten zu 3) und 4) hätten sich nicht über den Berufungsgrund geirrt. Sie habe in den mit diesen geführten Telefongesprächen darauf hingewiesen, dass eine letztwillige Verfügung des Erblassers nicht bestehe. Es liege allenfalls ein Rechtsfolgenirrtum vor, der nicht zur Anfechtung der Annahme berechtige.
Die Beteiligten zu 3) und 4) treten der Beschwerde entgegen und tragen vor, sie seien vor Erhalt des gerichtlichen Schreibens vom 3.3.2015 nicht darüber die Kenntnis gesetzt worden, dass eine letztwillige Verfügung d...