Mediation bietet große Chancen, hat aber auch ihre Grenzen: Die Chancen liegen darin begründet, dass Mediation eine ganzheitliche Konfliktlösung ermöglicht, die alle Aspekte des Konflikts (z. B. betriebswirtschaftliche und emotionale) würdigt.
Doch vorab müssen Sie analysieren, ob ein Mediationsverfahren überhaupt Sinn macht, denn nicht für jeden Konflikt ist das Mediationsverfahren geeignet. Es lassen sich im Groben vier Aspekte unterscheiden, die Sie vorab prüfen sollten:
a) Personenbezogene Aspekte:
Vorab sollten Sie die Anzahl der Streitparteien einschätzen. Je mehr Beteiligte (z. B. bei einer großen Erbengemeinschaft), umso schwieriger wird die Durchführung der Mediation, da alle Beteiligten dem Mediationsverfahren zustimmen müssen.
Im vorliegenden Fall fand die Mediation zwischen V und T statt, S wollte nicht teilnehmen, hat aber die gefundene Lösung im nachhinein unterstützt und finanziert.
Sind die Machtungleichgewichte zwischen den Streitenden zu groß, fehlt es an der nötigen Selbstbestimmtheit der Parteien. Wer kann schon frei verhandeln, wenn er kaum Informationen oder nur einen engen finanziellen Spielraum hat?
Die Konfliktparteien müssen zudem eine gewisse intellektuelle Reife mitbringen, um selbst ihren Standpunkt formulieren und vertreten zu können.
b) Streitgegenstandsbezogene Aspekte:
(aa) Konflikte aufgrund von Missverständnissen (Informationsdefizite, Fehlinformationen, unterschiedliche Bewertung und Gewichtung von Daten) können mithilfe eines Mediators konstruktiv bearbeitet werden. Letztlich geht es um die Erforschung des genauen Sachverhalts durch exaktes Zuhören und durch richtiges Fragen.
Ob ein solcher Konflikttyp vorliegt, können Sie als Prozessanwalt kaum beurteilen, da Ihnen ja nur die Informationen des eigenen Mandanten vorliegen. Im Zweifel sollten Sie hier aber die Chance einer Sachaufklärung via Mediation empfehlen.
(bb) Gleiches gilt für Positionskonflikte, bei denen die wahren Bedürfnisse der Konfliktparteien (sogenannte Interessen) nicht mehr erkennbar sind und von ihren Forderungen an die Gegenseite (sog. Positionen) überlagert werden. Eine solche Ausgangslage ist bei Erbstreitigkeiten fast immer gegeben. Das spricht ebenfalls für die Empfehlung eines Mediationsverfahrens.
(cc) Konflikte auf der Gefühlsebene (z. B. Eifersucht der Geschwister) sind dann mediationsgeeignet, wenn sie mit einem Bedürfniskonflikten verbunden sind. In Erbsachen kommt diese Verknüpfung fast immer vor. Meist geht es dann um Anerkennung der eigenen Leistung.
T: "Ich hätte gerne Anerkennung dafür, dass ich meinem Bruder S den größeren finanziellen Anteil überlassen hatte, um das Unternehmen nicht zu gefährden"
Eine Mediation ist nicht angezeigt, wenn der Gefühlskonflikt die Auseinandersetzung gänzlich dominiert, sodass eine Verhandlung auf der Sachebene nicht möglich ist. Ob das der Fall ist, kann von Ihnen als Prozessanwalt nur beschränkt festgestellt werden. Meist wird ein erfahrener Mediator schon nach dem Erstgespräch Hinweise geben, ob Mediation Sinn macht. Denn: Mediation ist keine Therapie!
(dd) Werte- bzw. Ideologiekonflikte sind nicht mediations geeignet, wenn eine Sachauseinandersetzung aufgrund ideologischer Verblendung nicht mehr geführt werden kann. Der Bürgermeister von Jerusalem hatte einmal – befragt zum innerisraelischen Streit zwischen liberalen und ultraorthodoxen Juden – treffend gesagt: "Wer den lieben Gott auf seiner Seite weiß, muss kein Verständnis für die andere Seite aufbringen." Bei Erbstreitigkeiten kommen solche Konflikte selten vor (z. B. über die Art und Weise der Bestattung).