Will man einer zweiten Auseinandersetzung sowie einer einseitigen Risikoverteilung entgehen, bietet sich eine Aussetzung des zivilgerichtlichen Verfahrens bis zur strafgerichtlichen Entscheidung über die Verurteilung des Pflichtteilsberechtigten an. Diesen Weg beschreitet die an zweiter Stelle genannte Auffassung für den Fall, dass ein Strafverfahren gegen den zurückgesetzten Familienangehörigen bereits anhängig ist. Herangezogen wird dabei § 149 ZPO. Dieses Vorgehen wirft zwei Fragen auf: Erstens, ob eine Aussetzung des Zivilrechtsstreits in der vorliegenden Konstellation überhaupt auf § 149 ZPO gestützt werden kann; zweitens, warum es nicht auch dann zu einer Aussetzung des Streits kommt, wenn das Strafverfahren noch nicht anhängig ist.

Nach § 149 ZPO kann das Zivilgericht die Aussetzung der Verhandlung bis zur Erledigung des Strafverfahrens anordnen, wenn sich im Laufe des Rechtsstreits der Verdacht einer Straftat ergibt, deren Ermittlung auf die Entscheidung von Einfluss ist. Die Norm gibt dem Zivilgericht die Möglichkeit, die besseren Erkenntnismöglichkeiten des Strafverfahrens zu nutzen, wenn sich der streitentscheidende Lebenssachverhalt durch die Mittel des Zivilprozesses nicht oder nicht so gut wie im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren aufklären lässt.[45] Demzufolge ist § 149 ZPO aber nur dann anwendbar, wenn das Strafverfahren von inhaltlichem Einfluss auf den Zivilprozess ist. Eine unmittelbare Anwendung der Norm scheidet hingegen aus, wenn sich das Strafverfahren und damit die Verurteilung als Tatbestandsmerkmal darstellen.[46] Demzufolge kommt in der vorliegenden Konstellation eine direkte Anwendung von § 149 ZPO nicht in Betracht.[47] Die Entziehung des Pflichtteils nach § 2333 Abs. 1 Nr. 4 BGB setzt nämlich voraus, dass eine Verurteilung des Pflichtteilsberechtigten vorliegt, wodurch diese zur Tatbestandsvoraussetzung wird. Denkbar bleibt damit nur eine analoge Anwendung von § 149 ZPO. Eine solche wird allgemein für den Fall befürwortet, dass sich der Einfluss der Straftat auf die Entscheidung des Zivilprozesses gerade in einer rechtlichen Bindung manifestiert.[48] Es sei unbefriedigend, wenn das Zivilgericht die Klage heute abweisen und im Anschluss an das Strafurteil morgen den geführten Zivilprozess noch einmal beginnen müsste.

Mithin ist die erste Frage beantwortet: § 149 ZPO analog stellt eine hinreichende Grundlage für eine Aussetzung des Zivilverfahrens dar. In Bezug auf die zweite Frage bleibt bedeutsam, dass es bereits ausreicht, wenn das Strafverfahren anhängig gemacht wird.[49] Insofern ist es auch dem Zivilrichter gestattet, das Verfahren auszusetzen und die Akten selbst an die Staatsanwaltschaft weiterzuleiten. Demzufolge könnte das Zivilverfahren in der vorliegenden Konstellation stets ausgesetzt werden, wenn die Voraussetzungen des § 149 ZPO analog vorliegen.

[45] KG MDR 1983, 139; Musielak/Stadler, ZPO, 8. Aufl. 2011, § 149 Rn 1.
[46] Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 32. Aufl. 2011, § 149 Rn 3; Musielak/Stadler (Fn 45), § 149 Rn 3; MüKoZPO/Wagner, 3. Aufl. 2008, Bd. 1, § 149 Rn 7.
[47] Ebenso Muscheler, in: Bayer/Koch (Fn 5), S. 39, 61.
[48] Musielak/Stadler (Fn 45), § 149 Rn 3; MüKoZPO/Wagner (Fn 46), § 149 Rn 7. A.A. OLG Köln OLGZ 1991, 352, 353 ff; Zöllner/Greger, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 149 Rn 3.
[49] Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 69. Aufl. 2011, § 149 Rn 5; Zöllner/Greger (Fn 48), § 149 Rn 3; MüKoZPO/Wagner (Fn 46), § 149 Rn 3.

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