Die genannten Zustände oder Krankheiten führen nicht per se zu Testierunfähigkeit. Vielmehr muss durch Gericht und Sachverständige im Einzelfall untersucht werden, ob sie die Einsichts- und Handlungsfähigkeit des Erblassers ausgeschlossen haben. Entscheidend ist die Fähigkeit, im Zeitpunkt der Testamentserrichtung einen freien Willen zu bilden. Hierzu gehören
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die Fähigkeit, bestimmte Sachverhalte aufzufassen und zu verstehen, |
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die Fähigkeit, die Informationen rational und emotional zu verarbeiten, |
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die Fähigkeit, den Sachverhalt angemessen zu bewerten, |
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die Fähigkeit, den eigenen Willen auf der Grundlage von Verständnis und Verarbeitung und Bewertung der Information zu bestimmen, zu äußern und danach zu handeln. |
Zu prüfen sind daher die Auswirkungen auf kognitive Funktionen und auf Persönlichkeit und Wertegefühl.
Die Beeinträchtigungen müssen sich auf den für das Testat relevanten Sachverhalt erstrecken, also den Wert des Nachlasses und die Personen, die als gesetzliche Erben in Betracht kommen. So können Personen mit kognitiven Gedächtnisstörungen noch eine Art "emotionales Gedächtnis" haben, aufgrund dessen sie ihre affektiven Reaktionen auf bestimmte Personen unreflektiert und unbewusst speichern und daraus resultierende Präferenzen oder Aversionen entwickeln. Entscheidend für eine freie Willensbildung ist jedenfalls die Fähigkeit, sich an Dinge zu erinnern, Informationen aufzunehmen, zu verarbeiten und sich ein Urteil über mehrere Alternativen zu bilden und frei zwischen diesen entscheiden zu können.
Dabei muss der Erblasser nicht vernünftig, aber frei von Einflüssen Dritter handeln. Wer sich aus Angst vor körperlichen oder seelischen Verletzungen Vorschlägen Dritter nicht widersetzen kann oder so abgestumpft ist, dass er nur noch mechanisch auf Anweisungen reagiert, ist nicht testierfähig. Irrtumsbedingte Fehlvorstellungen, die nicht krankhafte Ursachen haben, berechtigten allenfalls zu einer Anfechtung nach § 2078 Abs. 2 BGB. Leichte Beeinflussbarkeit genügt im Gegensatz zur übermäßigen Beherrschung durch andere Personen nicht, solange die auf den Willen einwirkenden äußeren Einflüsse noch in normaler Weise nur Motiv und nicht beherrschend sind. Entscheidender Unterschied ist folgender: Der Irrtum eines Testierfähigen beruht auf der Annahme von Tatsachen, die sodann frei abgewogen werden. Pathologische Formen der Überzeugungsbildung sind einem vernünftigen Abwägen und logischen Argumenten nicht zugänglich. Dabei vermittelt sich abnorme Fremdbeeinflussbarkeit wesentlich über erhöhte emotionale Ansprechbarkeit (ggf. gepaart mit erhöhter Starrköpfigkeit anderen gegenüber) bei reduziertem kognitiven Kontrollvermögen. Entscheidend ist dabei nicht – wovon die Beteiligten oft fälschlicherweise ausgehen – ob ein Dritter den Erblasser beeinflusst hat, sondern ob er noch Fähigkeit hatte, etwaige Beeinflussungen durch kritisches Hinterfragen infrage zu stellen. Vom Vorliegen eines Wahns kann aber ebenso wenig wie sonst auf eine Unwirksamkeit des Testats wegen Testierunfähigkeit geschlossen werden; das Testat muss mit den Wahnvorstellungen zusammenhängen.