Der Begriff "Pflege gewähren" in § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG ist, anders als beispielsweise der Begriff der Hilflosigkeit in § 33 b Abs. 6 des EStG, gesetzlich nicht definiert und muss als steuerrechtliches Tatbestandsmerkmal nach seinem steuerrechtlichen Bedeutungszusammenhang, nach dem Zweck des jeweiligen Steuergesetzes und nach dem Inhalt der einschlägigen Einzelregelung interpretiert werden.
Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Zweck der Steuerbefreiung des § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG rechtfertigen nach Auffassung des BFH eine weite Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals. Es reicht für die Gewährung der Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG aus, dass die Pflege des Erblassers durch seine Hilfsbedürftigkeit veranlasst war. Es ist dabei nicht erforderlich, dass der Erblasser pflegebedürftig im Sinne des § 14 Abs. 1 SGB XI und einer Pflegestufe nach § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB XI zugeordnet war. Entgegen der bisher vielfach vertretenen Auffassung der Finanzverwaltung kommt es für die Gewährung des Freibetrags nach § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG gerade nicht auf die Einstufung in eine Pflegestufe gemäß § 15 Abs. 1 SGB XI an. Entscheidend ist die glaubhafte Darlegung von Pflegeleistungen, wozu neben den nicht von § 14 Abs. 4 SGB XI erfassten Hilfeleistungen auch weitere zählen, wie z. B. Erledigung von Botengängen und schriftlichen Angelegenheiten, Besprechungen mit Ärzten, Vorsprachen bei Behörden, Spaziergänge, Zeitung vorlesen sowie die seelische Betreuung des Erblassers, maW menschliche Zuwendungen. Gerade bei hilfsbedürftigen Personen kann es erforderlich sein, dass sie einen Ansprechpartner ihres Vertrauens haben, an den sie sich mit ihren Anliegen wenden können. Das Vorliegen von Pflegeleistungen ist unabhängig davon, ob die Vertrauensperson als Betreuer nach den § 1896 ff des BGB bestellt war. Voraussetzung ist, dass die Leistungen regelmäßig und über eine längere Dauer erbracht wurden.
Hier vorliegend hat der Steuerpflichtige die hochbetagte Erblasserin seit Jahren betreut und nachweislich regelmäßig Pflegeleistungen erbracht. Nach dem Revisionsurteil des BFH sind in Hinblick auf Sinn und Zweck der Steuerbefreiung und die damit verbundenen Nachweisschwierigkeiten keine übersteigerten Anforderungen an die Darlegung und Glaubhaftmachung zu stellen. Vielmehr ist bei der Beurteilung der Frage, ob und inwieweit die tatsächlichen Voraussetzungen der Steuerbefreiung erfüllt sind, ein großzügiger Maßstab anzulegen. Es kann insbesondere regelmäßig angenommen werden, dass mit zunehmendem Alter eines Menschen auch dessen Hilfsbedürftigkeit zunimmt. So kann, wenn keine gegenteiligen Anhaltspunkte bestehen, schon bei einem über 80 Jahre alten Menschen von einer Hilfsbedürftigkeit auszugehen sein, ohne dass es hierzu eines Nachweises in Form eines ärztlichen Attests oder vergleichbarer Bescheinigungen bedarf.
Allein die Unterbringung und Versorgung eines Pflegeempfängers in einem Pflegeheim schließen eine Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG nicht aus. Denn durch die Steuerbefreiung begünstigte Pflegeleistungen können auch gegenüber einer Person erbracht werden, die in einem Pflegeheim lebt. Bei Erbringung langjähriger, intensiver und umfassender Pflegeleistungen kann der Freibetrag in voller Höhe gewährt werden, ohne dass es eines Einzelnachweises zum Wert der Pflegeleistungen bedarf.