Auch die im aktuellen Urteil enthaltene Rechtsetzungsdirektive enthält eine Pflicht zur rückwirkenden Neuregelung. Für dieses Verständnis maßgebend ist die in der Urteilsbegründung stringent aufgezeigte Regel-Ausnahme-Rückausnahme-Systematik:
a) Regel: Verpflichtung zur rückwirkenden Neuregelung ohne Fortgeltungsanordnung (Rn 286)
Das Gericht führt in erster Stufe aus, dass aus der Unvereinbarkeitsfeststellung "in der Regel die Verpflichtung des Gesetzgebers folge, rückwirkend, bezogen auf den in der gerichtlichen Feststellung genannten Zeitpunkt, die Rechtslage verfassungsgemäß umzugestalten". Dabei stellt es zugleich fest, dass in einem solchen Fall – grundsätzlich ohne Fortgeltungsanordnung – "Gerichte und Verwaltungsbehörden (...) die Norm im Umfang der festgestellten Unvereinbarkeit nicht mehr anwenden [dürfen] und laufende Verfahren (...) auszusetzen" sind. Das ist der Ausgangspunkt der Analyse: Eine Unvereinbarkeitserklärung beinhaltet grundsätzlich die Verpflichtung des Gesetzgebers zu einer rückwirkenden, verfassungsgemäßen Ausgestaltung des bemängelten Rechts, gerade weil es durch die Unvereinbarkeitserklärung grundsätzlich (ohne Fortgeltungsanordnung) zu einer Rechtsanwendungssperre und damit zu einem rechtsfreien Zeitraum kommen würde.
Die Bindungswirkung der Verpflichtung gerade zur rückwirkenden Neuregelung ist dabei im Übrigen kein verfassungsrechtliches Novum, sondern ständige Rechtsprechung des BVerfG im Zusammenhang mit der Entwicklung des Unvereinbarkeitstenors. Die Befolgung dieser Pflicht ist nicht leichtfertig als bloßer Respekt vor dem Verfassungsgericht zu verstehen. Sie ist für den Gesetzgeber als Bindungsadressaten indisponibel und zwingend, weil Kern der Rechts- und Verfassungsstaatlichkeit.
b) Rückwirkungszeitpunkt für die Regelverpflichtung
Mit dem "in der gerichtlichen Feststellung genannten Zeitpunkt" ist vorliegend – wie jedenfalls grundsätzlich – der Tag der Entscheidungsverkündung, hier also der 17.12.2014 gemeint. Dies ist in Anbetracht des Gesetzescharakters der Sachentscheidung nach § 31 Abs. 2 S. 1 BVerfGG folgerichtig, da die Entscheidungsverkündung insofern mit dem endgültigen Gesetzesbeschluss gleichsetzen ist, ab dem das Vertrauen der Bürger in den Fortbestand der alten Rechtslage zerstört ist – damit genügt das Gericht auch seinen eigenen Vorgaben zur nur ausnahmsweise zulässigen "echten Rückwirkung". Es wäre aber nach der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG wohl sogar die Erstreckung bis hin zum Inkrafttreten des ErbStRG am 1.1.2009 in Betracht gekommen.
Das konkrete (zeitliche) Ausmaß der Rückwirkungsverpflichtung hängt, so das BVerfG in einer früheren Entscheidung,
"von den tatsächlichen Verhältnissen ab, auf die der Gesetzgeber trifft. Für die Zeit vor der Neuregelung kann keine Abhilfe verlangt werden, wenn sie nach der tatsächlichen Lage praktisch nicht mehr durchführbar wäre oder den Betroffenen keinen tatsächlichen Nutzen mehr bringen könnte oder wenn sie nur unter unverhältnismäßig großer Beeinträchtigung anderer schutzwürdiger Belange möglich wäre."
c) Ausnahme: Einschränkung der Rückwirkungspflicht bei schutzwürdigen Belangen
Ausnahmsweise kann also wegen überragender Belange die Regelpflicht zur rückwirkenden Neuregelung eingeschränkt werden. Um einen rechtsleeren Zustand zu vermeiden, bedarf es dann freilich spiegelbildlich in Anbetracht der festgestellte...