Jedenfalls mit Blick auf das Pflichtteilsrecht der Abkömmlinge ist der Entziehungsgrund des § 2333 Abs. 1 Nr. 3 BGB praktisch ohne Bedeutung. Dies ist schon wirtschaftlich häufig der Fall, da derjenige, der auf Unterhalt angewiesen ist, regelmäßig über keinen großen Nachlass verfügt, den er verteilen könnte. Er wird daher keinen wirtschaftlichen Anlass zur Pflichtteilsentziehung sehen – von emotionalen Motiven einmal abgesehen. Daneben bestehen auch signifikante rechtliche Hürden für eine auf § 2333 Abs. 1 Nr. 3 BGB gestützte Pflichtteilsentziehung. So ist der in den Schutzbereich dieses Entziehungsgrundes fallende Unterhalt auch nach der Reform stets als Geldleistung geschuldet. Abkömmlinge, die dem Erblasser nicht die notwendige tatsächliche persönliche Pflege und Sorge sowie persönliche Anteilnahme zuteilwerden lassen, verletzen daher ihre Unterhaltspflicht iS dieser Vorschrift nicht, solange sie dem bedürftigen Erblasser nur die erforderlichen finanziellen Mittel zur Verfügung stellen (§ 1612 Abs. 1 S. 1 BGB). Die Tatsache, dass sie dabei vielleicht keinen persönlichen Kontakt zulassen oder auch eine persönliche Betreuung ablehnen, berechtigt nicht zur Pflichtteilsentziehung nach § 2333 Abs. 1 Nr. 3 BGB, was den Anwendungsbereich zusätzlich limitiert.
Zudem reicht die Verletzung einer gesetzlichen Unterhaltspflicht für sich genommen zur Pflichtteilsentziehung nicht aus, sie muss vielmehr "böswillig" gewesen sein. Der Abkömmling muss also verwerflich gehandelt haben, wie das OLG zutreffend feststellt. Der Reformgesetzgeber hat an diesem Kriterium – trotz mancher kritischer Stimme – festgehalten und nicht, etwa in Anlehnung an § 1611 Abs. 1 S. 1 BGB, das Wort "gröblich" verwandt. Damit bleibt es bei der konkreten Verwerflichkeitsprüfung im Einzelfall, nach der es nicht möglich ist, allgemein verbindlich festzulegen, wie lange die Unterhaltspflichtverletzung angedauert bzw. welches Ausmaß sie angenommen haben muss, um einen böswilligen Charakter anzunehmen.
Angesichts dieses Befundes fragt man sich, weshalb der Reformgesetzgeber, dem all diese Unzulänglichkeiten natürlich bekannt waren, an dem Entziehungsgrund überhaupt festgehalten hat. Nicht nur wegen der marginalen Bedeutung dieses Entziehungsgrundes – in der Literatur finden sich die Hinweise auf einen nachträglichen Vermögenserwerb (Lottogewinn) oder darauf, dass in bescheidenen Verhältnissen auch ein kleiner Nachlass bedeutsam sei – stellt sich die Frage nach dem Sinn des Entziehungsgrundes. Welches rechtspolitische Ziel verfolgt eigentlich die Verbindung von Unterhaltspflichtverletzung mit Pflichtteilsentzug, zumal wenn es immer wieder heißt, § 2333 Abs. 1 Nr. 3 BGB sei mit heutigen Wertvorstellungen nicht in Einklang zu bringen? Noch einmal muss darauf hinge- wiesen werden, dass es bei § 2333 Abs. 1 Nr. 3 BGB allein um das Tragen der anfallenden Pflegekosten geht und nicht etwa um ein sich in der Pflege ausdrückendes besonderes Näheverhältnis. Muss man zudem einen Entziehungsgrund mit einem so geringen Anwendungsbereich mit besonders hohen subjektiven Hürden verknüpfen? Hätten die aus einem Jahrhundert der Rechtsanwendung gewonnenen Erfahrungen nicht im Bundesjustizministerium Anlass geben müssen darüber nachzudenken, ob beispielsweise die grobe Vernachlässigung einer familiären Pflicht ein zeitgemäßerer Ansatz für einen Pflichtteilsentzug gewesen wäre, wie ihn etwa das österreichische Recht kennt (§ 770 Nr. 5 ABGB)?