Grundlage zur Beurteilung der Unionsrechtskonformität von § 51 Abs. 2 AO – sowohl hinsichtlich der Rechtslage de lege lata als auch im Hinblick auf etwaige Reformüberlegungen zur Rechtslage de lege ferenda – bildet die Rechtsprechung des EuGH zum Gemeinnützigkeitsrecht im Bereich der direkten Steuern, allem voran die richtungsweisende Entscheidung "Stauffer".
Der Ausgangssachverhalt betraf – ähnlich wie das dem vorliegenden Beitrag zugrundeliegende Fallbeispiel – eine gemeinnützige Stiftung mit Sitz und Geschäftsleitung im Ausland (Italien), die ihre steuerbegünstigten Zwecke ausschließlich im Ausland (Schweiz) erfüllte und als Eigentümerin einer in Deutschland belegenen Immobilie Mieteinkünfte erzielte. Die Frage nach der Steuerbefreiung dieser an sich beschränkt steuerpflichtigen Einkünfte kraft Gemeinnützigkeit gem. § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG wurde vom zuständigen Finanzamt verneint. Schließlich hatte die Stiftung weder ihren Sitz noch ihre Geschäftsleitung in Deutschland, wie es nach der bis zum JStG 2009 geltenden Fassung der Vorschrift des § 5 Abs. 2 Nr. 2 KStG zur Inanspruchnahme der Steuerbefreiung gesetzlich vorgesehen war. Im Wege des Vorabentscheidungsverfahren legte der BFH dem EuGH die Frage vor, ob es den Grundfreiheiten widerspricht, wenn ein Mitgliedstaat Vermietungseinkünfte, die eine unbeschränkt steuerpflichtige gemeinnützige Körperschaft erzielt, von der Körperschaftsteuer befreit, während diese Befreiung einer Körperschaft aus einem anderen Mitgliedstaat nur deshalb verweigert wird, weil sie lediglich beschränkt steuerpflichtig ist.
Der EuGH erblickte in dieser unterschiedlichen steuerlichen Behandlung eine Beeinträchtigung der in Art. 56 EG (jetzt: Art. 63 AEUV) verankerten Kapitalverkehrsfreiheit. Der Diskriminierungsgehalt von § 5 Abs. 2 Nr. 2 KStG aF werde nicht aufgrund fehlender Vergleichbarkeit einer im Inland und einer im Ausland ansässigen gemeinnützigen Körperschaft infrage gestellt. Der EuGH führte aus, dass das Unionsrecht den Mitgliedstaaten zwar nicht vorschreibt, dafür Sorge zu tragen, dass in ihrem Herkunftsmitgliedstaat als gemeinnützig anerkannte ausländische Körperschaften im Inland automatisch die gleiche Anerkennung erfahren. Insoweit stehe es im Ermessen der Mitgliedstaaten, festzulegen, welche Interessen der Allgemeinheit sie dadurch fördern wollen, dass sie an ihre Verwirklichung steuerliche Befreiungen knüpfen. Das mitgliedstaatliche Ermessen dürfe aber nicht derart ausgeübt werden, dass allein die Ansässigkeit einer Körperschaft über die Möglichkeit zur Inanspruchnahme gemeinnützigkeitsabhängiger Steuerbefreiungen entscheidet. Auf dieser Grundlage konstatierte der EuGH, dass beschränkt steuerpflichtige Körperschaften, die alle Gemeinnützigkeitsanforderungen des deutschen Rechts erfüllen, im Vergleich zu unbeschränkt steuerpflichtigen gemeinnützigen Körperschaften durch § 5 Abs. 2 Nr. 2 KStG aF in rechtfertigungsbedürftiger Weise benachteiligt werden.
Eine Rechtfertigung komme weder zur Wirksamkeit steuerlicher Kontrollen oder zur Wahrung der Kohärenz des nationalen Steuersystems in Betracht noch seien andere zwingende Gründe des Allgemeininteresses ersichtlich, die eine Rechtfertigung bewirken könnten. Zur Sicherstellung der Wirksamkeit steuerlicher Kontrollen verwies der EuGH die Mitgliedstaaten auf die Möglichkeit, von der beschränkt steuerpflichtigen Körperschaft die Vorlage stichhaltiger Belege über ihren Gemein-nützigkeitsstatus zu verlangen oder sich auf der Grundlage der Amtshilferichtlinie an die Behörden eines anderen Mitgliedstaates zu wenden, um die für die Besteuerung bzw. Steuerbefreiung eines Steuerpflichtigen erforderlichen Auskünfte zu erhalten. Ein kohärentes Steuersystems, zu dessen Wahrung der Ausschluss beschränkt steuerpflichtiger gemeinnütziger Körperschaften von der Steuerbefreiung des § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG notwendig sei, bestehe nach Ansicht des EuGH bereits dem Grunde nach nicht. Schließlich sei der Rechtfertigungsgrund der Kohärenz nur dann einschlägig, wenn eine unmittelbare Wechselbeziehung zwischen einem Steuervorteil und einem Steuernachteil bestehe, der aber bei § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG nicht vorliege, da die Befreiung nicht dem Ausgleich eines steuerlichen Nachteils diene.