Leitsatz
1. Der vor Eintritt des Erbfalls erklärte Erb- und/oder Pflichtteilsverzicht ist ein erbrechtlicher – bürgerlich-rechtlich wie steuerrechtlich unentgeltlicher – Vertrag, der der Regulierung der Vermögensnachfolge dienen soll und nicht der Einkommensteuer unterliegt (Bestätigung der Rechtsprechung).
2. Wird die Höhe der aus einem derartigen Vertrag zu zahlenden monatlichen Rente so ermittelt, dass die Beteiligten einen vom Erblasser vorgegebenen Basisbetrag zugrunde legen, der zunächst durch die statistische Lebenserwartung des Rentenberechtigten zum Zeitpunkt des Zahlungsbeginns und anschließend nochmals durch zwölf dividiert wird, so enthält die monatliche Zahlung keinen Zinsanteil.
BFH, Urteil vom 20. November 2012 – VIII R 57/10
Sachverhalt
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) bezog im Streitjahr 2001 monatliche Rentenzahlungen von ihrem Bruder, dem Beigeladenen.
Diese Zahlungen beruhten auf einem notariell beurkundeten Übergabevertrag zwischen dem Vater (V) einerseits und dessen beiden Kindern (der Klägerin und dem Beigeladenen) andererseits. Darin übertrug V dem Beigeladenen in vorweggenommener Erbfolge ein Grundstück sowie einen Betrieb. Er behielt sich ein lebenslanges unentgeltliches Wohnrecht auf dem Grundstück vor; ferner hatte der Beigeladene an V lebenslang eine dauernde Last in Höhe von 6.000 DM jährlich zu zahlen. Dieser Betrag war wertgesichert; zusätzlich wurde auf § 323 der Zivilprozessordnung (ZPO) Bezug genommen. Sowohl die Klägerin als auch der Beigeladene verzichteten auf ihr Pflichtteilsrecht am Nachlass des V.
Außerdem war Folgendes vereinbart: "Der Übernehmer verpflichtet sich an seine Schwester (...) zur zusätzlichen Sicherung ihrer Altersversorgung und zum persönlichen Unterhalt eine lebenslange Rente zu bezahlen, die durch eine Rentenreallast gesichert wird. Die Rente ist monatlich im Voraus jeweils am Ersten eines jeden Kalendermonats zur Zahlung fällig, erstmals am auf den Tod des Übergebers folgenden Monatsersten und durch Dauerauftrag dem Berechtigten zu überweisen. Die Höhe der Rente berechnet sich aus der statistisch zu erwartenden Lebensdauer der Berechtigten nach der allgemeinen Sterbetafel und aus einem Basisbetrag von 800.000 DM, wobei sich dieser Basisbetrag um eine etwa bestehende Restschuld aus einem evtl. vom Übernehmer zu übernehmenden Grundpfandrecht, welches vom Übergeber gemäß (...) dieser Urkunde bestellt wurde, vermindert. Eine Verzinsung ist nicht einzurechnen." Für diesen Rentenbetrag wurde weder eine Wertsicherung vereinbart noch auf § 323 ZPO Bezug genommen. Nach dem Tod des V bezog die Klägerin ab dem 1. März 2001 laufende Rentenzahlungen, deren Höhe wie folgt ermittelt wurde:
Basisbetrag 800.000 DM
mittlere Lebenserwartung lt. Sterbetafel 1994/96 29,71 Jahre
Jahresbetrag der Rente bei Division des Basis-Betrags durch die mittlere Lebenserwartung 26.926,96 DM
Monatsbetrag der Rente 2.243,91 DM
Die Klägerin erklärte die erhaltenen Zahlungen von insgesamt 22.439 DM zunächst mit ihrem Ertragsanteil (41 %) als Leibrente und wurde –unter dem Vorbehalt der Nachprüfung – entsprechend veranlagt. Nachdem dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt – FA –) bekannt geworden war, dass der Beigeladene die von ihm zu leistenden Beträge in voller Höhe als dauernde Last abzog, erließ er gegen die Klägerin den angefochtenen Änderungsbescheid, mit dem er die Zahlungen in vollem Umfang der Besteuerung unterwarf. Zur Begründung führte er aus, es handele sich um Versorgungsleistungen, die grundsätzlich als dauernde Last anzusehen seien.
Im nachfolgenden Einspruchsverfahren, zu dem der Beigeladene hinzugezogen wurde, behauptete die Klägerin, der Rentenbetrag sei nach kaufmännischen Gesichtspunkten aus dem Basisbetrag von 800.000 DM ermittelt worden. Dieser Basisbetrag habe dem geschätzten Erbteil der Klägerin entsprochen; er stehe einem Kaufpreis gleich. Nur der in den monatlichen Zahlungen enthaltene Zinsanteil sei bei der Klägerin steuerbar.
Der Beigeladene verwies demgegenüber darauf, der Betrag von 800.000 DM sei eine reine Rechengröße gewesen, die V festgelegt habe, um der Klägerin angemessene Einkünfte zu gewähren und den Beigeladenen nicht übermäßig zu belasten. Kaufmännische Gesichtspunkte hätten keine Rolle gespielt.
Nach Zurückweisung des Einspruchs erweiterte die Klägerin ihren Antrag während des Klageverfahrens auf einen entsprechenden Hinweis des Finanzgerichts (FG) dahingehend, dass in vollem Umfang von einer Besteuerung abzusehen sei. Es handele sich um nicht steuerbare Unterhaltsleistungen in Form von Gleichstellungsgeldern. Ferner behauptete sie, der Wert des Vermögens des V habe ursprünglich 3,6 Mio. DM betragen; davon habe sie die Hälfte (1,8 Mio. DM) erhalten sollen. Da V ihr vorab aber bereits Immobilien im Wert von 1 Mio. DM übertragen habe, habe sich der Betrag von 800.000 DM ergeben. Dieser Betrag habe ursprünglich sofort gezahlt werden sollen, wodurch für den Beigeladenen aber eine finanziell sehr angespannte Situation entstanden wäre. Daher habe sie vorgeschlage...