I. Die Rechtsprechung verlangt vom Testamentsvollstrecker normalerweise, bei der ordnungsgemäßen Verwaltung gemäß § 2216 Absatz 1 BGB den Ab- und Ausgleich der widerstreitenden wirtschaftlichen Interessen zwischen Vor- und Nacherben herzustellen. In seiner zweiten Grundsatzsentscheidung zum Behindertentestament hat der BGH dies allerdings zugunsten des behinderten Vorerben anders gewichtet und hier dessen Substanzzugriff in den Vordergrund gerückt: sofern wie im entschiedenen Sachverhalt der Nachlass zu wenig oder keine Erträge abwirft, kann der Zugriff auf die Substanz möglich sein.
Schauen wir auf den für uns wichtigen Teil der Entscheidung. Nach der Auseinandersetzung hatte die Behinderte als Vorerbin einen Vermögenssockel von rund 114.000 DM erhalten (Rn 3). Der Testamentsvollstrecker und Nacherbe, ihr Bruder, aber hatte vorbehaltlich der fehlenden Sozialschädlichkeit ein stattliches Programm zu finanzieren (Rn 2): ein monatliches Taschengeld, mind. 4 Wochen Urlaub p. a. in einem Behinderten- oder sonstigen Erholungsheim, Kosten des alltäglichen Bedarfs (Kleidung etc.) und Unterbringung in einem Einzelzimmer. Streitpunkt war die Sittenwidrigkeit der Nacherbfolge durch den Bruder, weil die Behinderte gegenüber dem Bruder als Nacherben benachteiligt werde (bloße Erhaltung des Erbteils durch die Behinderte), der Erbvertrag entziehe den Erbteil dadurch auch dem klagenden Sozialhilfeträger (Rn 4).
Mit anderen Worten, aber ohne dass dies klar ausgesprochen wird: der Erbteil der Behinderten, bestehend aus Wertpapieren und Bankguthaben (Rn 14), wirft keine Erträge ab, die dem Testamentsvollstrecker die Erfüllung seiner o. g. Pflichten gestattet hätten. Dafür blieb nur der Substanzzugriff. Dass dies so war, geht aus den Gründen hervor, denn den Vorwurf der Sittenwidrigkeit der Nacherbfolge des Bruders lehnt der BGH u. a. wie folgt ab (Rn 14): "Die Nacherbfolge benachteiligt die Behinderte auch nicht dadurch unzumutbar, dass unter Umständen die Zustimmung des Bruders zur Veräußerung von Nachlassgegenständen erforderlich sein könnte. Im vorliegenden Fall hat sie (die Behinderte, Anm. d. Verf.) aufgrund der Erbauseinandersetzung kein Immobiliarvermögen erhalten, so dass die Verfügungsbeschränkung des § 2113 Abs. 1 BGB nicht eingreift. Sie muss den aus Wertpapieren und Bankguthaben bestehenden Nachlass aber in der Substanz erhalten und dazu auf Verlangen des Nacherben gemäß § 2116 ff BGB sichern. Wenn die Leistungen, die der Testamentsvollstrecker nach dem Erbvertrag zugunsten der Behinderten zu erbringen hat, nicht aus den Nutzungen der Vorerbschaft bestritten werden können, dürfte der Testamentsvollstrecker wie für die Erfüllung anderer Nachlassverbindlichkeiten gemäß § 2126, 2124 Absatz 2 Satz 1 BGB berechtigt sein, Nachlassgegenstände zu veräußern. Die im Erbvertrag zugedachten Leistungen können insoweit (auch) als Vermächtnis gewertet werden, das die Nacherbschaft beschwert."
Hieraus können wir mE folgende Schlüsse ziehen:
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Der Auslegungswink mit dem Zaunpfahl des Vermächtnisses dient dem BGH als Argument, die Sittenwidrigkeit der Anordnung der Nacherbfolge abzulehnen, weil der Nachlass im Streitfall offenkundig keinen Ertrag abwirft. Bei dieser Gelegenheit gibt der BGH dem obsiegenden Beklagten (und der Behinderten) den fakultativen Ausweg mit auf den Weg (weniger der unterliegenden Sozialhilfebehörde, der man signalisiert, dass weitere Prozesse sinnlos sind): die sehr weite Auslegungsmöglichkeit, wonach die Verwaltungsanordnungen auch ein Vermächtnis für den als notwendig erachteten Substanzzugriff beinhalten "können". |
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Die vom BGH erleichterte Auslegung beruht auf dem besonderen Zweck der Testamentsvollstreckung und erlaubt es bei Behindertentestamenten de facto, in Abweichung zu seiner sonstigen Rechtsprechung bei defizitären oder fehlenden Erträgen auf die Substanz zulasten der Nacherben leichter zuzugreifen. Der Substanzzugriff soll dabei (wohl nur) bei Ertragsschwäche oder gar -ausfall möglich sein, so dass wohl ein bedingtes Vermächtnis vorliegt. |
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Es lag explizit kein Fall des § 2113 Absatz 1 BGB vor. Der BGH brauchte sich daher nicht dazu zu äußern, wenn z. B. im Zuge des von ihm (via Auslegung) gestatteten Substanzzugriffs eine Verfügung gemäß § 2213 Absatz 1 BGB notwendig sein sollte. Wir können aber für unsere weiteren Überlegungen festhalten: bei der vom BGH vorgenommenen vergleichenden Wertung spielt dieser Gesichtspunkt keine Rolle, obwohl die Vorschrift die Nacherbenrechte schützen soll, auch wenn sich darauf bei Eintritt der Nacherbfolge – aber eben erst dann – jedermann berufen kann – § 2113 BGB ist eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift. |
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Was der BGH mit "Vermächtnis" genau meint, bleibt offen. Mit dem kraft Auslegung zu gewinnenden "Vermächtnis" könnte der BGH womöglich ein Vorausvermächtnis nach § 2110 Absatz 2 BGB gemeint haben, weil er die Parallele zur Veräußerungsberechtigung in den gesetzlichen Fällen der §§ 2124 Absatz 2 Satz 1, 2126 BGB zieht, aber sicher ist dies kei... |