Während – wie dargestellt – die Behandlung latenter Steuern im Güterrecht entsprechend der BGH-Ansicht bei Ehegatten jedenfalls mittelbaren Einfluss auf die Höhe des Pflichtteils hat, wird die Frage der Berücksichtigung latenter Steuern bei der Bewertung im Rahmen der Nachlassbilanz iSd § 2311 BGB von der Rechtsprechung bisher nur teilweise und in der Literatur sehr unterschiedlich behandelt. Im Bereich der Unternehmensbewertung wird etwa danach unterschieden, welches Verwertungsszenario der Bewertung zu Grunde gelegt wird:
Im Falle der Weiterführung des Unternehmens durch den Erben, wird der Wert nach der Ertragswertmethode (Fortführungswert) ermittelt; da Grundlage dieser Bewertung nicht der Verkauf oder die Aufgabe ist, es dabei also nicht zu einer Aufdeckung der stillen Reserven und der damit einhergehenden Besteuerung kommt, soll ein wertmindernder Ansatz der latenten Steuern in diesem Fall ausscheiden.
Ist die Auflösung der stillen Reserven durch Verkauf oder Aufgabe eines Unternehmens beim Erbfall bereits absehbar, findet dieses nach Rechtsprechung des BGH in der Nachlassbilanz mit dem Substanz- bzw. Liquidationswert, also unter Berücksichtigung der latenten Steuern, seinen Ansatz. Ob das der Fall ist, hängt laut BGH davon ab, "ob und für welche Zeit die Fortsetzung des Unternehmens zu erwarten steht oder ob andererseits Gründe dafür vorliegen, daß das Unternehmen in absehbarer Zeit aufgelöst oder veräußert werden wird. Entscheidend ist also die Verwertungsabsicht ..." Eine solche läge danach jedenfalls vor, "wenn das Unternehmen nach einem Erbfall von den Erben nicht fortgesetzt werden soll, sei es, weil der Erblasser die Auflösung oder Veräußerung angeordnet hat, sei es, weil mehrere Erben vorhanden sind und eine Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft durch Verkauf des Unternehmens nach den §§ 2042, 753 BGB wünschen, sei es, weil der Erbe aus Gründen mangelnder Rentabilität des Unternehmens, aus Gründen mangelnder persönlicher Eignung zur Führung des Unternehmens oder aus sonstigen Gründen sich im Anschluß an den Erbfall zur Veräußerung oder Aufgabe des Betriebes entschließt." Nach dem BGH kann in diesen Fällen "nicht außer Acht gelassen werden, daß dem Unternehmen eine durch das Vorhandensein stiller Reserven und der dadurch latent gegebenen Steuerlast bedingte Wertminderung bereits zur Zeit des Erbfalls anhaftete, weil die Verwertung des Vermögens durch den Erben insoweit nicht ohne ein Fälligwerden der Steuer möglich ist."
Im Gegensatz zur Rechtslage bei der Unternehmensbewertung findet sich zur Beurteilung von Wirtschaftsgütern des Privatvermögens (z. B. Grundstücke und Wertpapiere) im Pflichtteilsrecht nur wenig in Rechtsprechung und Literatur.