Leitsatz
1. Auch der Erbe, der den bereits erhebliche Zeit geschäftsunfähigen Erblasser zu töten versucht und sich damit eines Totschlags in minder schwerem Fall schuldig macht, ist erbunwürdig im Sinne des § 2339 Abs. 1 Nr. 1 BGB. Dies muss jedenfalls dort gelten, wo die Tatbestandsvoraussetzungen der Tötung auf Verlangen gemäß § 216 StGB nicht vorliegen, der Erbe kein Verfahren gemäß den §§ 1901 a ff BGB eingeleitet hat und sich kein Wille des Erblassers ermitteln lässt, dass lebenserhaltende Maßnahmen abgebrochen werden sollen.
2. Voraussetzung für die Erbunwürdigkeit gemäß § 2339 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist die Schuldfähigkeit des Erben.
BGH, Urteil vom 11. März 2015 – IV ZR 400/14
Sachverhalt
Der Kläger, Sohn des Beklagten, begehrt, dass dieser als Erbe seiner Ehefrau, der am 9. März 2012 verstorbenen Erblasserin, der Mutter des Klägers, für erbunwürdig erklärt wird. Der Beklagte und seine Ehefrau errichteten am 1. November 1991 ein notarielles Testament, in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben sowie ihre drei Kinder, den Kläger und seine beiden Schwestern, zu gleichberechtigten Schlusserben einsetzten. Ferner war bestimmt, dass, sollte eines der Kinder beim Tod des Erstversterbenden den Pflichtteil verlangen, es auch aus dem Nachlass des Längstlebenden nur den Pflichtteil erhalten und jede zu seinen Gunsten getroffene Verfügung unwirksam sein sollte. Die seit 1997 an Alzheimer erkrankte Erblasserin wurde 2002 nach einem Krankenhausaufenthalt in ein Alten- und Pflegeheim verlegt. Im Jahr 2003 erhielt sie nach einem epileptischen Anfall eine PEG-Sonde, über die ihr Nahrung, Flüssigkeit und Medikamente zugeführt wurden. Sie verließ das Krankenzimmer in der Folgezeit nicht mehr. Eine verbale Kommunikation mit ihr war nicht mehr möglich. Der als ihr Betreuer eingesetzte Beklagte besuchte sie regelmäßig.
Der Beklagte, der sich in einem depressiven Zustand befand und bereits einen Selbstmordversuch unternommen hatte, durchtrennte am 9. Februar 2012 mittels einer mitgebrachten Schere den Verbindungsschlauch zur Magensonde der Erblasserin und widersprach einer erneuten Verbindung, nachdem das Pflegepersonal seine Handlung entdeckt hatte. Dem Pflegepersonal gelang es jedoch, die Verbindung zu reparieren. Die Erblasserin verstarb einen Monat später an einer Lungenent-zündung, die in keinem ursächlichen Zusammenhang mit der Tat des Beklagten stand. Dieser wurde wegen versuchten Totschlags in einem minder schweren Fall (§ 213 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung verurteilt. Der Kläger machte nach dem Tod der Erblasserin zunächst einen Pflichtteilsanspruch gegen den Beklagten geltend. Später erhob er Klage auf Feststellung der Erbunwürdigkeit. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht diese abgewiesen. Mit der Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Aus den Gründen
Die Revision ist begründet; sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Beklagte sei nicht nach § 2339 Abs. 1 Nr. 1 BGB erbunwürdig, ohne dass es darauf ankomme, ob er im Zeitpunkt der Tat schuldunfähig gewesen sei. Er habe zwar vorsätzlich versucht, die Erblasserin durch das Durchtrennen des Verbindungsschlauchs zur Magensonde zu töten und einen minder schweren Fall des versuchten Totschlags iSd § 213 StGB begangen. Sein erstmals im Berufungsverfahren gehaltener Vortrag, die Erblasserin habe früher geäußert, nicht menschenunwürdig dahinvegetieren zu wollen, sei nach § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO nicht zu berücksichtigen. Die gesundheitliche Situation der Erblasserin sei aber seit mehreren Jahren denkbar schwer und kaum erträglich ohne Aussicht auf Besserung gewesen. Die Handlung des Beklagten sei nicht von einer für Tötungsdelikte typischen aggressiven Motivation, sondern eher von Verzweiflung und einer empfundenen Ausweg- und Aussichtslosigkeit geprägt gewesen. Die versuchte Tötung in einem minder schweren Fall sei nicht ohne Weiteres dazu geeignet, eine Erbunwürdigkeit zu begründen. § 2339 Abs. 1 Nr. 1 BGB sei vielmehr als Regelvermutung zu verstehen, die eine Prüfung der besonderen Umstände des Einzelfalles zulasse. Zweck der Bestimmung sei der Schutz der Würde des Erblassers in seiner Eigenschaft als Träger von Testierfreiheit. Dieser Schutzzweck werde durch das Verhalten des Beklagten nicht berührt. Die Erblasserin sei seit etwa zehn Jahren krankheitsbedingt nicht mehr testierfähig gewesen. Die Frage einer Änderung ihres, den Beklagten begünstigenden, Testaments habe sich nicht gestellt. Angesichts der tragischen Besonderheiten des Falles erscheine es als nicht angemessen, den Beklagten für erbunwürdig zu erklären.
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.
1. Gemäß § 2339 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist unter anderem erbunwürdig, wer den Erblasser vorsätzlich und widerrechtlich getötet oder zu töten versucht hat. Die Geltendmachung der Erbunwürdigkeit erfolgt durch Anfechtung des E...