Derzeit ist es für deutsche Staatsangehörige möglich, ab 16 Jahren einen volljährigen Nupturienten zu heiraten, soweit freilich das Familiengericht die hierzu nach § 1303 Abs. 2 BGB erforderliche Befreiung erteilt. Mindestens ein Ehegatte hat deshalb volljährig zu sein, damit dieser die für eine Ehe erforderlichen Rechtsgeschäfte tätigen kann und damit für ein aus der Ehe hervorgehendes Kind kein Vormund zur Vertretung des Kindes nach den §§ 1673, 1773 BGB bestellt werden muss.
Da sich die materiellen Eheschließungsvoraussetzungen für ausländische Staatsangehörige nach ihren jeweiligen Heimatrechten richten, kann dies dazu führen, dass die deutsche Rechtsordnung mit im Ausland nach den Art. 11 und 13 EGBGB form- und inhaltsgemäß geschlossenen Ehen von unter 16-Jährigen konfrontiert wird. Das Gesetz ermöglicht somit die Entstehung einer Ehemündigkeitsdiskrepanz zwischen ausländischen und deutschen Ehegatten.
Ob Art. 6 EGBGB (ordre public) als letztes Korrektiv diese Diskrepanz beseitigen kann oder gar soll, ist sehr umstritten. In Rspr. und Lehre herrscht ein breites Spektrum unterschiedlichster Ansichten.
Der BGH hat die Frage, ob im Ausland geschlossene Minderjährigen-Ehen in Deutschland als rechtsgültige Ehen angesehen werden sollen oder ob diese gegen den ordre public verstoßen und ggf. welche Konsequenzen ein solcher Verstoß hätte – Nichtigkeit oder bloße Aufhebbarkeit der Ehe – bislang nicht entschieden. Das Jugendamt Aschaffenburg hat gegen einen Beschl. des OLG Bamberg v. 12.5.2016 – 2 UF 59/16 Rechtsbeschwerde zum BGH eingelegt, sodass eine Entscheidung des BGH nur noch eine Frage der Zeit ist. Dem Beschl. des OLG lag im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde:
Die beiden verheirateten syrischen Flüchtlinge M und F sind im Jahr 2015 nach Deutschland eingewandert. Zum Zeitpunkt der Eheschließung in Syrien war F 14 Jahre und zum Zeitpunkt der obergerichtlichen Entscheidung 15 Jahre alt, M war jeweils volljährig. Das Jugendamt Aschaffenburg trennte die Ehegatten, indem es F in Obhut nahm und M nur ein begleitetes Umgangsrecht von 2 Stunden pro Woche zusprach.
Das Amtsgericht – Familiengericht – Aschaffenburg bestätigte die Entscheidung des Jugendamts im Grundsatz, erklärte das Jugendamt zum Vormund der F und sprach M ein unbegleitetes Umgangsrecht übers Wochenende zu.
Das OLG Bamberg entschied gegen das Jugendamt und die Vorinstanz zugunsten der Ehegatten. Die gem. Art. 13 Abs. 1 EGBGB nach syrischem Recht geschlossene Ehe sei wirksam. Das syrische Recht erlaube unter gewissen Voraussetzungen die Eingehung einer Ehe zwischen einem 15-jährigen Jungen und einem 13-jährigen Mädchen. Die Voraussetzungen nach syrischem Recht seien im entschiedenen Fall erfüllt. Die (wichtige) Frage, ob die konkrete syrische Norm, die zur Wirksamkeit der Ehe nach syrischem Recht führte, gegen den ordre public-Grundsatz verstößt, ließ das Gericht ausdrücklich offen, da es im konkreten Fall nicht darauf ankomme, da selbst ein Verstoß gegen den ordre public nur die Nichtanwendung der konkreten syrischen Norm zur Folge hätte; aus der Nichtanwendung dieser Norm folge aber nicht die Nichtigkeit der Ehe, sondern die Anwendung des syrischen Auffangrechts, welches nur eine Anfechtbarkeit der Ehe und damit ihre Wirksamkeit bis zum möglichen Aufhebungsausspruch nach erfolgreicher Anfechtung vorsehe. Diese Rechtsfolge sei die gleiche wie nach deutschem Eherecht, da ein Verstoß gegen § 1303 BGB nicht die Unwirksamkeit, sondern nur die Aufhebbarkeit der Ehe zur Folge hätte. Folglich kämen aufgrund der Wirksamkeit der Ehe § 1633 iVm § 1800 BGB zum Zuge, die dem Jugendamt untersagten, über den Aufenthaltsort der minderjährigen F zu bestimmen. Nach syrischem Recht bestünde im Übrigen schon gar kein Sorgerecht der Eltern eines verheirateten Minderjährigen mehr.
Die Ausführungen des OLG Bamberg sind zwar konsequent, im Ergebnis jedoch nicht befriedigend. Das unbefriedigende Ergebnis resultiert jedoch einzig aus der aktuellen Gesetzeslage, der das OLG Bamberg stringent folgt, sodass ihm kein Vorwurf gemacht werden kann.
Selbst das deutsche Recht erlaubt theoretisch Eheschließungen von unter 16-Jährigen. In praktischer Hinsicht kann zwar bei Eheschließungen im Inland aufgrund der Mitwirkung des Standesbeamten und dessen erforderlicher Prüfung der Geburtsdaten der Nupturienten nach den §§ 12 ff u. § 15 Abs. 1 Ziff. 2 PStG davon ausgegangen werden, dass solche Fälle nicht vorkommen. Bei einer Eheschließung eines Deutschen unter 16 Jahren im Ausland kann dagegen nicht ausgeschlossen werden, dass trotz § 1303 BGB eine zwar nach den §§ 1313 ff BGB mit (nur) ex nunc-Wirkung aufhebbare, aber bis dahin zunächst wirksame Ehe vorliegt. In diesen Fällen richten sich die materiellen Ehemündigkeitsvoraussetzungen der deutschen Staatsbürger zwar gem. Art. 13 Abs. 1 EGBGB nach deutschem Recht, mithin nach § 1303 BGB, dies ist aber nur aus deutscher Rechtsperspektive, welche nicht unbedingt der des Eheschließungsstaates entsprechen mus...