Einführung
Bleibt Großbritannien im EWR oder verabschiedet es sich daraus, wenn es die EU verlässt? Davon hängt ab, ob für Erb- und Nachfolgeregelungen mit Bezug zu Großbritannien die Grundfreiheiten des EWRA weitergelten, oder ob Großbritannien nur noch den Status eines Drittstaates hat, mit allen nachteiligen steuerlichen Konsequenzen.
1. Meinungsstand
Nahezu alle Autoren, die sich mit dem Thema befassen, stehen auf dem Standpunkt, dass Großbritannien ohne Weiteres aus dem EWR ausscheidet, wenn es aus der EU ausscheidet. Das erscheint zumeist so selbstverständlich, dass es nicht begründet, sondern nur konstatiert wird. Meine gegenteilige Meinung ist bislang nur von Schroeter/Nemeczek bestätigt worden, die unabhängig davon zum gleichen Ergebnis gekommen sind.
Die offizielle Ansicht der EU ergibt sich aus einer Mitteilung der Task Force for the Preparation and Conduct of the Negotiations with the United Kingdom under Article 50 TEU (AMW) vom 12.4.2018:
"Am 29. April 2017 hat der Europäische Rat Leitlinien im Anschluss an die Austrittsmitteilung des Vereinigten Königreichs gemäß Artikel 50 EUV angenommen. Hierin stellt der Europäische Rat klar, dass nach dem Austritt Großbritanniens ,Übereinkünfte, die von der Union oder von den Mitgliedstaaten in ihrem Namen oder von der Union und ihren Mitgliedstaaten gemeinsam geschlossen wurden, nicht mehr auf das Vereinigte Königreich anwendbar sein‘ werden (Abs. 13). Die Anwendbarkeit dieser internationalen Übereinkommen auf die Mitgliedstaaten ist rechtlich an deren Mitgliedschaft in der Europäischen Union gebunden. "
Der EWR-Vertrag ist ein gemischtes Abkommen, bei dem die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten auf der einen Seite, und die EFTA Staaten auf der anderen Seite, in ein bilaterales Vertragsverhältnis eingetreten sind (siehe die Definition der ,Vertragsparteien‘ in Artikel 2 des EWR-Vertrags). Die territoriale Anwendbarkeit wird in Artikel 126 des EWR-Vertrags durch Rückgriff auf die territoriale Anwendbarkeit der EU-Verträge geregelt. Laut Artikel 50 EUV finden die EU-Verträge nach dem Austritt Großbritanniens auf dieses keine Anwendung mehr, was logisch zur Folge hat, dass auch der EWR-Vertrag nach Großbritanniens Austritt nicht mehr auf dieses anwendbar ist.
Die oben beschriebene Rechtsfolge für den EWR-Vertrag tritt automatisch mit dem Vollzug des Austritts Großbritanniens aus der Europäischen Union ein; es bedarf insofern keiner separaten Kündigung seitens Großbritanniens, der Union und ihrer Mitgliedstaaten, oder der EFTA Staaten.“
2. Stellungnahme
2.1 Art. 50 Abs. 3 EUV
Nach Art. 50 Abs. 3 EUV gelten "die Verträge" nicht mehr. Wie sich aus Art. 1 Abs. 3 Satz 1 EUV ergibt, sind damit der EUV und der AEUV gemeint. Darin sind sich die Kommentatoren einig, und deshalb wird auch gesagt, es handle sich völkerrechtlich um eine überflüssige Selbstverständlichkeit. Gemischte Abkommen wie das EWRA gehören nicht zu den Verträgen iSv Art. 50 Abs. 3 EUV und sind daher nicht betroffen. Sie gelten also erst einmal weiter.
Nach Mäsch/Gausing/Peters soll eine Analogie zum Beitritt der EFTA-Staaten Finnland, Österreich und Schweden zur EU angezeigt sein. Sie hätten zunächst einmal vom EFTA-Abkommen zurücktreten und im Rahmen des EWR-Abkommens die Stellung als EU-Mitgliedsstaat einnehmen müssen. Der Rücktritt vom EFTA-Abkommen habe nur deshalb nicht das dauerhafte Ausscheiden aus dem EWR zur Folge gehabt, weil sich diese Staaten bereits in Art. 5 Abs. 2 der Beitrittsakte verpflichtet hätten, allen von der EU abgeschlossenen Übereinkünften beizutreten, was letztlich zum Verbleib im EWR, genauer: zum Wiederbeitritt auf der anderen Seite geführt habe. Dieses Einerseits-Andererseits überzeugt nicht. Nach Art. 2 Abs. 2 des Beitrittsvertrags vom 24.6.1994 trat der Vertrag am 1.1.1995 für die Beitrittsstaaten inkraft, die ihre Ratifikationsurkunden spätestens am 31.12.1994 hinterlegt hatten. In der Beitrittsakte war vorgesehen, dass die beitretenden Staaten mit Wirkung ab dem 1.1.1995 von dem EFTA-Abkommen zurücktreten. Danach sind der Beitritt zur EU und der Rücktritt vom EFTA-Abkommen zeitgleich erfolgt, ohne dass dazwischen eine Lücke war. Daher sind die beitretenden Staaten im EWRA verblieben und nicht ausgeschieden. Wären sie ausgeschieden, hätten sie nach Art. 128 EWR Aufnahmeanträge stellen müssen. Die Bedingungen für ihren Beitritt zum EWRA wären in Abkommen zwischen den Vertragsparteien des EWRA und dem antragstellenden Staat zu regeln gewesen, die die Vertragsstaaten des EWRA hätten ratifizieren oder genehmigen müssen. Das alles hat nicht stattgefunden.