Einführung
Der Beitrag beschäftigt sich mit der Festlegung der erbrechtlichen Geschäftsgebühr. Auf der Grundlage der vom BGH anerkannten Toleranzschwelle von 20 % ist gerade auch unter Berücksichtigung der Kritik in der Instanzrechtsprechung im Regelfall eine erbrechtliche Geschäftsgebühr von 1,8 abrechnungsfähig.
I. Einleitung
Dem Rechtsanwalt steht bei der Vertretung in erbrechtlichen Angelegenheiten regelmäßig die Möglichkeit offen, eine Geschäftsgebühr von 1,8 abzurechnen. Dies setzt voraus, dass dargelegt wird, dass die Tätigkeit überdurchschnittlich schwierig oder umfangreich war. Diese Ausführungen sind entgegen einem Urteil des BGH aus dem Jahr 2011 gerichtlich überprüfbar. Zahlreiche Instanzgerichte haben dem BGH insoweit die Gefolgschaft verweigert. Der Beitrag zeigt auf, dass – gerade im Erbrecht – gleichwohl im Regelfall die Abrechnung einer 1,8-Gebühr als Geschäftsgebühr nicht zu beanstanden sein wird.
II. Erhöhte Geschäftsgebühr im Erbrecht (1,5)
Für die außergerichtliche Vertretung erhält der Rechtsanwalt eine Geschäftsgebühr (Vorbem. 2.3 Abs. 2 VV RVG). Innerhalb des Gebührensatzes (Nr. 2300 VV RVG 0,5 bis 2,5) bestimmt der Anwalt gem. § 14 Abs. 1 RVG die angemessene Gebühr. War die Tätigkeit weder umfangreich noch schwierig, kann der Anwalt gem. Anm. zu Nr. 2300 VV RVG lediglich eine 1,3-Gebühr (sog. Schwellengebühr) verlangen. So hat etwa der Bundesgerichtshof für den Fall eines durchschnittlichen Verkehrsunfalls entschieden und damit der Auffassung eine Absage erteilt, dass in durchschnittlichen Fällen nur eine Mittelgebühr unterhalb von 1,3 – etwa eine zwischen den Grenzen von 0,5 und 1,3 zu bildende zweite Mittelgebühr von 0,9 – gefordert werden könne. Eine Überschreitung der Schwelle von 1,3 setzt voraus, dass die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Gem. § 14 RVG bestimmt der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände. Maßgeblich sind Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, die Bedeutung der Angelegenheit, die Einkommensverhältnisse und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers und ein besonderes Haftungsrisiko des Rechtsanwalts. Bei der Gebührenbestimmung hat der Rechtsanwalt eine Ermessenentscheidung zu treffen. Deshalb hat die Rechtsprechung eine Toleranzgrenze von 20 % angesetzt.
In Erbsachen kommt eine Überschreitung der Schwellengebühr regelmäßig in Betracht. Die Tätigkeit ist in der Regel schwierig und umfangreich. Häufig sind mehrfach Schriftsätze an verschiedene Beteiligte zu richten. Auch ergeben sich oft schwierige Bewertungsfragen, muss oft ein Gutachten eingeholt werden. Schließlich ist mit Blick auf die relevanten Vermögenswerte auch ein größeres Haftungsrisiko gegeben. Dies muss der Rechtsanwalt vortragen und deutlich machen, dass er eine Ermessensentscheidung getroffen hat. Ein Ansatz von 1,5 wird daher häufig gerechtfertigt sein.
III. BGH-Urteile vom 11.1.2011 und 8.5.2012 (Toleranzschwelle)
Der Bundesgerichtshof zieht die Toleranzschwelle von 20 % auch in Fällen durchschnittlicher Schwierigkeit heran, wenn anwaltlich eine Mittelgebühr von 1,5 abgerechnet wird. Hierzu führt er aus: "Die Erhöhung der 1,3-fachen Regelgebühr auf eine 1,5-fache Gebühr ist einer gerichtlichen Überprüfung entzogen. Für Rahmengebühren entspricht es allgemeiner Meinung, dass dem Rechtsanwalt bei der Festlegung der konkreten Gebühr ein Spielraum von 20 vH (sog. Toleranzgrenze) zusteht (…). Hält sich der Anwalt innerhalb dieser Grenze, ist die von ihm festgelegte Gebühr jedenfalls nicht im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG unbillig und daher von dem ersatzpflichtigen Dritten hinzunehmen. Mit der Erhöhung der in jedem Fall angemessenen Regelgebühr um 0,2 haben die Rechtsanwälte des Klägers die Toleranzgrenze eingehalten."
IV. Kritik am BGH: ablehnende Instanzrechtsprechung
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist unzutreffend und daher auf Kritik gestoßen. Nach dem Wortlaut von Nr. 2300 VV RVG ist der Gebührenwert in durchschnittlichen Angelegenheiten auf eine 1,3-Gebühr begrenzt. In solchen Durchschnittsfällen steht dem Rechtsanwalt weder eine Festlegungsermessen, noch ein daran anknüpfender Toleranzraum zu. Die Entscheidung des Rechtsanwalts, die 1,3 Grenze zu überschreiten, muss also anhand der Kriterien von § 14 RVG begründet werden und ist einer ge...