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Erbschaftsteuerliche Befreiungen können nach dem Erbfall mit Wirkung für die Vergangenheit wegfallen. Das wirft die Frage auf, ob der Testamentsvollstrecker Vorsorge treffen muss, dass er die dann entstehende Erbschaftsteuer aus dem Nachlass zahlen kann, und ob er haftet, wenn er das schuldhaft versäumt und beim Erben nichts mehr zu holen ist.
1. Einführung
Das Erbschaftsteuergesetz kennt eine Reihe von Steuerbefreiungen. Manche sind endgültig, so die Befreiung für Hausrat nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG. Ihre Voraussetzungen müssen nur beim Erwerb vorliegen. Andere Befreiungen sind fürs erste vorläufig, so die Befreiungen nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 für Gegenstände, an deren Erhaltung ein öffentliches Interesse besteht, und nach § 13 Abs. 1 Nr. 16 ErbStG für Zuwendungen an gemeinnützige Einrichtungen. Ihre Voraussetzungen müssen im Erbfall vorliegen und danach zehn Jahre lang fortbestehen. Erst dann ist die Befreiung endgültig. Andernfalls entfällt die Befreiung, und zwar mit Wirkung für die Vergangenheit. So sind auch die Vergünstigungen für Unternehmensvermögen nach den §§ 13 a, 13 b ErbStG zunächst nur vorläufig. Sie werden endgültig, wenn während der Behaltensfrist von fünf oder sieben Jahren bestimmte Ereignisse nicht eintreten. Andernfalls fallen auch sie mit Wirkung für die Vergangenheit weg. Für den Erben bedeutet der Wegfall, dass die wegen der vorläufigen Befreiung nicht festgesetzte Erbschaftsteuer festgesetzt wird, und er sie nachzahlen muss.
2. Pflichten und Haftung des Testamentsvollstreckers
Der Erbe hat auf Verlangen des Finanzamts eine Erbschaftsteuererklärung abzugeben (§ 31 Abs. 1 Satz 1 ErbStG). Da er der Steuerschuldner ist (§ 20 Abs. 1 Satz 1 ErbStG), also nicht der Nachlass, wird die Erbschaftsteuer gegen ihn festgesetzt, und der Erbschaftsteuerbescheid wird ihm bekannt gegeben (§§ 155 Abs. 1 und 2, 157 Abs. 1 Satz 2, 122 Abs. 1 Satz 1 AO). Hat der Erblasser Testamentsvollstreckung angeordnet, wird der Testamentsvollstrecker in das Besteuerungsverfahren einbezogen. Nicht mehr der Erbe, sondern der Testamentsvollstrecker muss die Erbschaftsteuerklärung abgeben (§ 31 Abs. 5 Satz 1 ErbStG). Nicht mehr dem Erben, sondern dem Testamentsvollstrecker wird der Erbschaftsteuerbescheid bekannt gegeben (§ 32 Abs. 1 Satz 1 ErbStG). Er richtet sich immer noch an den Erben, der weiterhin der Steuerschuldner ist. Dessen ungeachtet hat der Testamentsvollstrecker für die Bezahlung der Erbschaftsteuer zu sorgen (§ 32 Abs. 1 Satz 2 ErbStG). Welche Folgen es für ihn hat, wenn er diese Pflicht verletzt, ist im ErbStG nicht geregelt, sondern in der Abgabenordnung. Der Testamentsvollstrecker ist Vermögensverwalter iSv § 34 Abs. 3 AO. Verletzt er seine Pflicht, für die Bezahlung der Erbschaftsteuer zu sorgen, vorsätzlich oder grob fahrlässig und wird deswegen die Steuer nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt, haftet er nach § 69 Satz 1 AO für den Ausfall.
Gegenstand der Zahlungssorge ist also "die Erbschaftsteuer". Entgegen dem ersten Anschein ist der Ausdruck nicht eindeutig, sondern dreideutig. Denn damit kann gemeint sein
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die festgesetzte Erbschaftsteuer, d. h. die Erbschaftsteuer, die sich aus dem Steuerbescheid ergibt, der dem Testamentsvollstrecker bekanntgegeben wurde, unabhängig davon, ob die Steuerfestsetzung zutreffend ist oder nicht, |
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die angefallene Erbschaftsteuer, d.h. die Erbschaftsteuer, die für den Erwerb des Erben entstanden ist, unabhängig davon, inwieweit sie festgesetzt ist oder nicht , |
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die gesamte Erbschaftsteuer, d.h. die angefallene Erbschaftsteuer und die Steuer, Nachsteuer genannt, die entsteht, wenn eine vorläufige Befreiung mit Wirkung für die Vergangenheit weggefallen ist. |
2.1. Zahlungssorge für die festgesetzte Steuer
Der systematische Zusammenhang, in dem § 32 Abs. 1 Satz 2 ErbStG steht, legt die Annahme nahe, dass die festgesetzte Erbschaftsteuer gemeint ist. Denn nur sie kennt der Testamentsvollstrecker und nur sie kann er zu der im Bescheid bestimmten Fälligkeit zahlen. Das spricht für die erste Auslegungsvariante.
Aber dagegen spricht die Gesetzeshistorie. Schon nach § 32 Abs. 1 ErbStG 1906 haftete ein Testamentsvollstrecker für den Ausfall der Steuer. Aber nach § 32 Abs. 2 ErbStG 1906 war eine Haftung für Nachforderungen ausdrücklich ausgeschlossen. Die Steuerfestsetzung sollte also die Haftung endgültig bestimmen. Diese Beschränkung der Haftung ist bei der Steuerreform 1919 entfallen. Nunmehr hatte der Testamentsvollstrecker nach § 87 Abs. 2 AO 1919 dafür zu sorgen, dass Mittel zur Bezahlung der Erbschaftsteuer zurückgehalten und die Steuer bezahlt wurde. Andernfalls haftete er nach § 90 AO 1919 für einen Ausfall. Seine Haftung für Nachforderungen war also nicht mehr ausgeschlossen. Dabei ist es geblieben. Nur ist die Zahlungssorge bei der Erbschaftsteuerreform 1974 wieder im ErbStG verortet worden, sie ist aus § 106 Abs. 2 AO aF in § 32 ErbStG zurückgekehrt.