Art. 69 Abs. 2 S. 1 statuiert die Vermutung, dass das Zeugnis die Sachverhalte, die nach dem auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendenden Recht oder einem anderen auf spezifische Sachverhalte anzuwendenden Recht festgestellt wurden, zutreffend ausweist.
Die Erteilung von falschen Nachlasszeugnissen ist nicht ausgeschlossen. Das Zeugnis erwächst nicht in Rechtskraft, sondern hat zunächst nur deklaratorische Bedeutung. Damit derjenige, der sich auf das Zeugnis beruft, nicht bei jeder Vorlage des Zeugnisses die Richtigkeit des Inhalts beweisen muss, stattet die Verordnung das Zeugnis mit einer Vermutungswirkung aus. So versucht die Verordnung, das unvermeidbare Spannungsverhältnis zwischen Schutz des Rechtsverkehrs und materieller Richtigkeit aufzulösen.
Der Kommissionsvorschlag sah noch vor, dass hinsichtlich aller Angaben im Nachlasszeugnis die Vermutung gilt, dass diese Angaben zutreffend ausgewiesen werden. Die endgültige Verordnung stellt demgegenüber klar, dass andere Sachverhalte als solche, die nach dem auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendenden Recht oder einem anderen auf spezifische Sachverhalte anzuwendenden Recht festgestellt wurden, nicht von der Vermutungswirkung erfasst werden.
Die Vermutung erstreckt sich somit nur auf die bezeugte Rechtslage, nicht aber auf die ihr zugrundeliegenden Tatsachen. Für den Rechtsverkehr ist in erster Linie wichtig zu wissen, welche Rechte dem Erben oder Vermächtnisnehmer zustehen. Welche Tatsachen die Grundlage hierfür sind, ist für den Nachweis der Berechtigung von nachgeordnetem Belang.
Die Vermutung ist widerleglich.
Die Formulierung der Vermutungswirkung bleibt problematisch, soweit hinsichtlich Angaben im Zeugnis zum Ehegüterstatut vermutet wird, dass diese richtig sind. Würde die Vermutungswirkung des Zeugnisses sich auch auf solche Angaben erstrecken, ginge dies über die Zielrichtung der Verordnung weit hinaus. Richtigerweise wird man die Formulierung "auf spezifische Sachverhalte anzuwendenden Recht" daher dahingehend auslegen müssen, dass allenfalls die erbrechtlichen Auswirkungen des Güterstandes von der Vermutungswirkung erfasst werden.
In Art. 69 Abs. 2 S. 2 wird die Vermutung aufgestellt, dass die Person, die im Zeugnis als Erbe, Vermächtnisnehmer, Testamentsvollstrecker oder Nachlassverwalter genannt ist, die in dem Zeugnis genannte Rechtsstellung und/oder die in dem Zeugnis aufgeführten Rechte oder Befugnisse hat und dass diese Rechte oder Befugnisse keinen anderen als den im Zeugnis aufgeführten Bedingungen und/oder Beschränkungen unterliegen. Diese weitreichende Vermutung macht die Problematik deutlich, die aus den Angaben zu den Rechten bzw. Beschränkungen von Erben, Vermächtnisnehmer, Testamentsvollstreckern und Nachlassverwaltern im Europäischen Nachlasszeugnis resultieren können. Soweit umfassende Angaben zu Rechten und Beschränkungen gemäß dem anwendbaren Recht gemacht werden, wird kaum zu vermeiden sein, dass summarische Angaben im Zeugnis die tatsächliche Rechtslage nur unzureichend wiedergeben. Ausführliche Angaben hingegen führen unvermeidbar zu erheblichen Übersetzungskosten, was für die Praxis nicht unerheblich sein wird. Es bleibt abzuwarten, wie die Ausstellungsbehörden mit diesem Dilemma, das ihnen die Verordnung vorgibt, umgehen werden. Eine befriedigende Auflösung des Dilemmas ist nicht in Sicht.
Aufgrund der Vermutungswirkung des Art. 69 Abs. 2 S. 2 droht die Gefahr, dass die Rechte einzelner Beteiligter ungebührlich verkürzt werden, soweit Rechte von Erben und Befugnisse von Testamentsvollstreckern nicht richtig wiedergegeben werden. Darüber hinaus ist aufgrund der Vermutungswirkung eine ebenfalls ungebührliche Verkürzung der Beschränkungen der einzelnen Beteiligten zu befürchten, wenn diese nicht ausreichend umfassend im Zeugnis angegeben werden.
Die Vermutungswirkung des Zeugnisses in Verbindung mit seiner Gutglaubenswirkung führt im Einzelfall zu dem Ergebnis, dass die Nichtkenntnis der tatsächlichen Gesetzeslage geschützt wird. Das mag aus der Sicht des ahnungslosen Bürgers positiv klingen, aus der Sicht des Bürgers, der die Folgen dieser privilegierten Ahnungslosigkeit zu tragen hat, ist demgegenüber nicht verständlich, warum ein solcher Schutz gewährt wird. Dies gilt umso mehr, als ein Gutglaubensschutz bezüglich der Nichtkenntnis des anwendbaren Rechts, soweit ersichtlich, grundsätzlich in keinem Mitgliedstaat gewährt wird. Die Regelung des Art. 69 Abs. 2 ist insofern als missglückt anzusehen. Eine Neufassung im Rahmen der Überprüfung gemäß Art. 82 ist wünschenswert.
Die Problematik der Angaben zu Rechten und Beschränkungen lässt sich an einem Beispiel veranschaulichen: Der Erblasser hat Testamentsvollstreckung angeordnet. Im Europäischen Nachlasszeugnis wird unter Bezug auf das anwendbare deutsche Erbrecht angegeben, dass der Testamentsvollstrecker verfügungsberechtigt ist. Dass er nicht unentgeltlich, auch nicht teilunentgeltlich verfügen darf, ist dem Europäischen Nachlasszeugnis nicht zu entn...