Der nächste Vortrag wurde von Prof. Dr. Georg Crezelius zu den Folgen des Erbschaftsteuerurteils für die Praxis und für die weitere Entwicklung des Erbschaftsteuerrechts gehalten. Nach einer kritischen Anmerkung zu der seiner Auffassung nach zu laxen Handhabung von Zulässigkeitsvoraussetzungen durch das BVerfG, ging Crezelius auf das dem Urteil zugrunde liegende materielle Verfassungsrecht ein. Als begrüßenswert hob er insoweit hervor, dass die Schutzrichtung der Verschonungstatbestände, nämlich der Bestandsschutz von insbesondere familiengeführten Unternehmen, durch das Gericht dem Grunde nach als legitimes Regelungsziel anerkannt worden ist. Als nur vordergründig plausibel bezeichnete Crezelius hingegen die Aussage des Gerichts, dass bei großen Unternehmen die Steuerverschonung nicht mehr legitimiert werden könne. Denn auch bei nach wirtschaftlichen Kennzahlen großen Unternehmen könnten personalistische Strukturen vorliegen. Ziehe man überdies in Betracht, dass die Verschonungsregelung, wie sich aus der Lohnsummenvorgabe ergebe, den Schutz der Unternehmen maßgeblich zum Erhalt von Arbeitsplätzen betreibe, so sei es widersinnig, große Unternehmen, die viele Arbeitsplätze schaffen würden, von dieser Privilegierung auszunehmen.
Im Anschluss setzte sich Crezelius mit dem Eckwertepapier des BMF zur Reform des Erbschaftsteuerrechts auseinander. Als problematisch bezeichnete er insoweit das Vorhaben, bei einem Unternehmenswert bis zu EUR 1 Mio. die Lohnsumme nicht zu berücksichtigen. Es sei fraglich, ob die Vorgaben des BVerfG hiermit erfüllt würden, zudem sei diese Regelung äußerst streitanfällig. Problematisch seien auch die Ausführungen des BMF-Papiers zur Frage der Bedürfnisprüfung als Voraussetzung der Verschonung im Einzelfall. Das Urteil des BVerfG sei insoweit unklar, da es nicht eindeutig erkennen lasse, ob der Senat diese Prüfung auf der Ebene des Unternehmens und/oder auf der Ebene des Erben vornehmen wolle. Nach steuersystematischen Grundsätzen, so Crezelius, könne jedoch nur die Situation des Letzteren relevant sein. In diesem Fall könne eine Differenzierung nach der Größe des Unternehmens, wie sie etwa das BVerfG angesprochen habe, nicht mehr vorgenommen werden. Denn es sei widersinnig, wenn die Vererbung eines Anteils an einem Großunternehmen eine individuelle Bedürfnisprüfung des Erben bewirke, bei der Vererbung einer ihrem Wert nach identischen Beteiligung an einem kleinen Unternehmen diese Bedürfnisprüfung aber entfalle. In jedem Fall dürfe bei einer Bedürfnisprüfung, was immer deren Anwendungsbereich sei, das schon vorhandene Privatvermögen des Erben keine Berücksichtigung finden. Denn dies würde denjenigen Erben benachteiligen, der über selbst erworbenes nicht verschonungsfähiges Vermögen verfüge, und somit die Wirkung einer aus verfassungsrechtlichen Gründen nur sehr eingeschränkt zulässigen Vermögensteuer bzw. Vermögensabgabe entfalten.
Crezelius schloss seinen Vortrag mit einem Hinweis darauf, dass trotz der angesprochenen Probleme bei der Nachbesserung des aktuellen Erbschaftsteuersystems, eine Radikalreform zu einem sog. Flat-Tax-Modell keine anstrebenswerte Lösung sei. Zwar stehe es auch nach der Entscheidung des BVerfG dem Gesetzgeber offen, sein Steuermodell grundlegend zu ändern, sofern er nur die verfassungsrechtlichen Vorgaben einhalte. Ein Flat-Tax-Modell würde jedoch dem Gesetzgeber ein probates Mittel bieten, durch strukturell einfache Änderungsgesetze die Steuersätze zu erhöhen, was mit Blick auf die Entwicklungen in andere Steuerarten (Grunderwerbsteuer) ein sehr wahrscheinliches und sicherlich nicht wünschenswertes Szenario wäre.
Autor: Von Matthias Sauerwald (Teil 1), Gerrit Krämer (Teile 2, 3), wissenschaftliche Mitarbeiter von Prof. Dr. Carsten Schäfer , Lehrstuhl für bürgerliches Recht, Handels und Gesellschaftsrecht an der Universität Mannheim
ZErb 8/2015, S. 251 - 253